Round Table

Wenn Kooperation täglich gelebt wird

TU Graz/Lunghammer
Zu Gast in der TU Graz: Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg, Rektor der Medizinischen Universität Graz, Univ.-Prof.in Dr.in Christa Neuper, Rektorin der Karl-Franzens-Universität Graz, Univ.-Prof. Harald Kainz, Rektor TU Graz, Harald Hornacek, Chefredakteur AUSTRIA INNOVATIV
TU Graz/Lunghammer

Extrem hohe F&E-Quote, Innovationsstärke, internationales Positionierung – wie machen das die Grazer Universitäten? Ein Round Table zeigt spannende Eindrücke in Denk- und Handlungsweisen. Und beweist, dass Miteinander mehr geht als gegeneinander.

von: Harald Hornacek

Wo sehen Sie die Stärken des Wissenschaftsstandortes Graz, Frau Rektorin Neuper?

 

Neuper:

Der Wissenschaftsstandort Graz profitiert von der guten Kooperation zwischen den Hochschulen, zwischen Politik und Industrie, aber auch von Forschungsaktivitäten, die untereinander gut abgestimmt sind. Unser Bundesland weist im EU-Vergleich die höchste Forschungsquote auf, da sind wir mit rund 5,2 Prozent führend. Unsere Universitäten sind forschungsstark, beispielweise im Bereich von BioTechMed, der molekularen Biowissenschaften und der Biotechnologie und mehr. Die klare Profilierung unserer Universitäten ist ein großes Asset.

 

Hilft es, wenn man eine „alte“ Universität ist? Die TU Graz wurde ja noch vor der TU Wien gegründet...

 

Kainz:

Es ist  schön, als Universität eine lange Tradition zu haben. Letzten Endes zählt der Blick nach vorne und dass Flexibilität und Dynamik an den Tag gelegt werden. Da ziehen wir in Graz alle an einem Strang. NAWI Graz ist ein Vorzeigeprojekt für Europa, hier haben zwei Universitäten ihre wesentlichen Stärken gebündelt und dadurch gemeinsam ihre F&E-Leistung verdoppelt. Mit dem NAWI Graz Geozentrum wird ein weiterer Schritt gesetzt. Bald werden wir hoffentlich auch die nötigen Instituts- und Laborgebäude haben. Damit schaffen wir gemeinsam eine zusätzliche Infrastruktur für den Standort Graz.

 

Herr Rektor Samonigg, Ihre Universität ist die jüngste am Tisch. Bringt das mehr Vor- oder Nachteile mit sich?

 

Samonigg:

Vor 15 Jahren bot die medizinische Forschung in Graz auf weite Strecken ein „Bild des Jammers“, heute ist das anders, Stichwort Biotechnologie. Ich kann mit Gewissheit sagen, dass das Herauslösen der MedUni aus der KFU und die Etablierung einer eigenen Medizinischen Universität kein Rückschlag für den Wissensstandort Graz war, ganz im Gegenteil. Die Medizin kam eigentlich erst danach auf eigene Beine. Es ist ein Unterschied, ob man eine Fakultät oder eine eigene Universität ist. Das betrifft insbesondere eine gewisse Augenhöhe im Diskurs mit dem Krankenanstaltenträger und es ermöglicht auch eine andere Sichtbarkeit.

 

Warum, denken Sie, funktioniert dieser kooperative Ansatz nicht an allen Hochschulstandorten? Warum ist man in Graz so erfolgreich?

 

Samonigg:

Ich sage es einfach gerade heraus: Ich glaube wir haben an unserem Standort wenig Persönlichkeiten, die vorrangig auf ihr eigenes Interesse schauen.

 

Kainz:

Wir haben die Chancen genützt, die sich aus der Führungsphilosophie von Alfred Gutschelhofer und Hans Sünkel ergeben haben und führen diesen Stil bewusst fort. Ein Miteinander bringt Vorteile mit sich. Man muss aber auch sagen, dass uns die Autonomie der Eigenverantwortung viele Möglichkeiten gegeben hat, die wir vorher nicht hatten.

 

Neuper:

Wir agieren heute im internationalen Raum. Allein die Uni Graz unterhält mehr als 500 internationale Kooperationen. Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Standorten. Daher kann es nur das Ziel sein, gemeinsam stärker zu werden. Ein starker Faktor zu sein und den Standort Graz entsprechend zu positionieren.

 

Kainz:

Das Gebot der Stunde ist Interdisziplinarität. Und dank dieser können wir auch die Grenzen des Standortes sehr gut ausdehnen und ganz neue Schnittstellen schaffen.

 

Neuper:

Im Bereich BioTechMed können wir etwa heute ganze Wertschöpfungsketten abbilden, von der Grundlagenforschung über Anwendungsmöglichkeiten bis zur klinischen Forschung und Marktreife. Das können in Österreich nur sehr wenige Forschungsstandorte.

 

Klingt, als würde man in Graz sehr pragmatisch an die Dinge herangehen....

 

Samonigg:

Ich denke, es ist der persönliche Zugang und Umgang, der uns auszeichnet: Direkt, offen, pragmatisch. Alles läuft unkompliziert und ohne doppelten Boden ab.

 

Kainz:

Bei unseren Kooperationen am Standort zählen vor allem wirkungsorientierte Lösungen – nicht Emotionen. Diese wollen wir allerdings mit unserer Arbeit bei unseren Mitarbeitenden und Studierenden wecken.

 

Welche Pläne verfolgen Sie, um Graz noch stärker als Forschungsstandort zu positionieren?

 

Neuper:

Dazu gibt es viele Überlegungen. Eine davon ist beispielsweise, attraktiver für Nachwuchsforschende zu werden. Es geht darum, dass wir Qualität und ein wissenschaftliches Umfeld anbieten, in dem sich die Forscher und auch deren Familien wohlfühlen und entwickeln können. Wir wollen die besten Köpfe anziehen. Graz ist noch nicht so bekannt im internationalen Raum wie andere Standorte. Aber wir haben enormes Potenzial.

 

Kainz:

Die Position der TU Graz in internationalen Rankings zeigt, dass wir international gut sichtbar sind. Wir zählen in Europa  zu den führenden technischen Universitäten. Als Standort bieten wir eine Stadt der kurzen Wege, in der die Lebensqualität extrem gut ist. Wir können in kleinen Forschungsgruppen arbeiten. Und wir stellen verstärkt fest, dass Exzellenz eben Exzellenz anzieht.

 

Samonigg:

Wir müssen uns unseren Platz in Österreich teilweise noch schaffen. Wien hat sicherlich Vorteile für Studierende und Forschende, aber es ist eben keine Stadt der kurzen Wege. Und Wien hat auch an der Uni meines Wissens weniger Core Facility-Einrichtungen. In Graz haben wir übergreifende Biotech-Core Facilities, die wir gemeinsam nützen und konsequent ausbauen. An der MedUni haben wir 12 vorklinische Institute aufgelöst und in 3 Research Centers überführt, die hochkompetent sind. So können wir Themen und Kräfte und Infrastrukturen bündeln. Das nimmt jetzt so richtig Fahrt auf. Gerade im Bereich Biotech können wir künftig ein noch stärkerer Partner sein.

 

Neuper:

Und wir arbeiten daran, die Zukunft zu gestalten. Aktuell beschäftigen wir uns an der Universität Graz mit dem Entwicklungsplan 2019-2024. Hier fragen wir uns, welche Bereiche wir forcieren wollen, um eine stärkere Profilbildung in F&E zu erreichen.

 

Welche Themen werden hier verfolgt?

 

Neuper:

Die großen Fragen der Zukunft, wie Klimawandel und der Umgang damit, eben auch in sozialer und ökonomischer Hinsicht. Wir sehen starken Forschungsbedarf bei alternsassoziierten Erkrankungen. Wir müssen uns fragen, welche Potenziale in einer alternden Gesellschaft stecken und wie wir diese nützen können. Wir haben es mit technologischen Entwicklungen in der Industrie zu tun, mit Themen wie Globalisierung und Digitalisierung. Darauf müssen wir Forschende und Studierende entsprechend vorbereiten. Auch Themen wie Infrastruktur und der Bereich „Smart University“ mit allen Facetten sind wichtige Rahmenbedingungen. Aber es zählen auch verstärkt interkulturelle Kompetenz und soziale Verantwortung.

 

Kainz:

Damit man in der Forschung international vorne mit dabei sein kann, braucht es eine gute Kooperation zwischen Universitäten und der Industrie. Wir haben uns in den Kernbereichen Elektronik, Sensorik oder Informatik in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Silicon Austria Labs wird, so hoffe ich, dabei helfen, dass wir hier noch stärker werden. Wir haben in Graz mit ALP.Lab das österreichische Zentrum für autonomes Fahren, wir haben mit der smartfactory@tugraz eine Produktionsfabriken für Industrie 4.0, wir sind dabei, in der Digitalisierung und Elektronik ganz neue Richtungen einzuschlagen.

 

Woran arbeiten Sie konkret?

 

Kainz:

Wir fragen uns beispielsweise, wie wir künftig die Ingenieurfakultäten mit den Bereichen Elektronik, Sensorik und  Security verbinden können. Und wir wollen mehr Studierende aus aller Welt nach Graz locken. Wir haben heute, je nach Bereich, bereits zwischen 20 und 40 Prozent Anteil an internationalen Studierenden. Wir sind dabei, unsere Programme weiter zu internationalisieren. Im PhD-Bereich haben wir alle Doctoral Schools seit 2013 komplett auf Englisch umgestellt, im Masterbereich sind bald 80 Prozent der Programme auf Englisch. Wir haben heuer 70 GastprofessorInnen aus aller Welt an der TU Graz, 50 unserer KollegInnen gehen gleichzeitig ins Ausland. Und wir bauen die unternehmerische Universität konsequent weiter aus. Wir wollen die Digitalisierung leben, von Lehre über Forschung bis zur Administration, Stichwort: „digitale Universität“. Dazu werden wir künftig verstärkt Schnittstellen aus Projekten nützen, aber auch ganz neue Wege gehen, die Universität so strukturieren, dass sie auf das rasant zunehmende Tempo der Digitalisierung die richtigen Antworten bieten kann.

 

Wie kann die Medizinische Universität Graz ihr Profil künftig noch mehr schärfen?

 

Samonigg:

Wir wollen uns nicht zuletzt im vorklinischen Bereich noch stärker engagieren. Mit Med Campus 1 und bald 2 haben wir gute Fortschritte in Bezug auf Infrastruktur. Und wir werden auch die Organisation entsprechend adaptieren und unsere Core Facilities stärken. So wollen wir uns verstärkt in kompetitiv vergebenen Forschungsbereichen als Partner anderer Universtäten ins Spiel bringen, gleichzeitig aber auch gute Leute an unsere Universität binden. Großes Potenzial sehe ich auch im Patientenversorgungsbereich, also im Klinikum, in dem wir neue Zugänge suchen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch anmerken, dass ich das ständige Verlangen, mehr ÄrtzInnen auszubilden, nicht nachvollziehen kann. Wir haben heute bereits eine sehr hohe Dichte an ÄrtzInnen in Österreich. Noch mehr zu „produzieren“, halte ich für den falschen Zugang. Wir müssen hier im System selbst Veränderungen vornehmen. Und wir müssen uns die Frage stellen, was bedeuten Veränderungen für die Betroffenen? Wir müssen künftig auch Grenzbereiche der Medizin mitreflektieren, beispielsweise das Thema Sterbehilfe als integralen Bestandteil der Lehre einbetten.

 

Welche Wünsche haben Sie an die künftige Bundesregierung, unabhängig davon, wer das Wissenschaftsministerium übernehmen wird?

 

Neuper:

Wir müssen darauf achten, dass den Studierenden an der Universität weiterhin genügend Freiräume bleiben, um aktiv Entscheidungen treffen zu können. Wir wollen keinen engen Stundenplan vorgeben, wie das etwa an einer FH der Fall ist. Und wir bieten eine enorme Vielfalt am Standort Graz an. Wir wollen Ideen wie das BioTechMed-Doktoratsprogramm auch aktiv für andere Universitäten anbieten, ebenso die Möglichkeit universitätsübergreifender Arbeitsgruppen. Damit helfen wir Studierenden, mehr Möglichkeiten zu nützen. So profitieren die Studierenden bei NAWI Graz von den Schwerpunkten und Besonderheiten beider Universitäten. Diese Denkweise möchte ich gerne stärker im Gesamtsystem sehen.

 

Kainz:

Ich halte den Druck zum schnellen Studium für problematisch. Auslandssemester werden beispielsweise immer schwieriger, weil es das vorrangige Ziel ist, möglichst rasch ein Studium abzuschließen. Das bringt aber nicht mehr Qualität, und es schränkt die Studierenden ein in ihrer persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung. Hier erhoffe ich mir etwas mehr Praxisnähe.

 

Samonigg:

Ich bekenne mich ganz klar zu einer Studienplatzfinanzierung, aber nicht in dem Sinne, dass manche Universitäten dadurch auf der Strecke bleiben. Das muss so gestaltet sein, dass alle Universitäten ihre Potenziale nützen und ausbauen können. Und ich fordere auch ein gewisses Augenmaß in der Diskussion um die Rolle der Fachhochschulen ein. In jedem Fall sind Investitionen in die Hochschulen nötig.

 

Neuper:

Eine kapazitätsorientierte Finanzierung halte ich für notwendig, zumal wir mit mehr als 30.000 Studierenden heute bereits die zweitgrößte Universität in Österreich sind und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Studierende ein wichtiges Anliegen ist. Finanzierung und Kapazität müssen in einer vernünftigen Relation stehen. Und wir werden praktikable  Aufnahmeregelungen brauchen: Im Bereich Pharmazie müssten wir beispielsweise 384 Studierende aufnehmen. Aber bei 80 Laborplätzen, die wir haben, könnten wir allen Studierenden nicht die nötige Infrastruktur bieten. Daher erwarte ich mir mit Blick auf den Faktor Lehre eine vernünftige Betreuungsrelation. Gleichzeitig möchte ich aber nicht, dass Universitäten ministriert werden. Eine Initiative wie NAWI Graz wäre ohne die Autonomie gar nicht möglich gewesen. Das heißt, es ist nicht sinnvoll, Universitäten in irgendeiner Form an die Kandare zu legen. Positiv ist für mich, dass ich das Gefühl habe, politisch ist heute mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Wissenschaft vorhanden, als das noch vor einigen Jahren der Fall war.

 

Kainz:

Eine sinnvolle Relation zwischen Kapazitäten und Studierenden muss sicherlich gegeben sein. Derzeit ist es allerdings so, dass Zuwächse bestraft werden. So werden Standorte geschwächt. Die Ausstattung der Forschungslabors muss einfach stimmen. Für die Zukunftsbereiche müssen wir das nötige Geld aufbringen, sonst können wir in Informatik oder Elektronik international nicht mithalten. Ich würde es für sinnvoll erachten, wenn für die Universitäten freies Geld vorhanden wäre und nicht jede Ausgabe bis auf den letzten Cent fixiert werden muss. Zwar federn die Drittmittelprojekte hier ein wenig ab, aber es geht um Ressourcen für die zukünftige Entwicklung. Ich bin nicht dafür, alles auf dem Silbertablett zu servieren, sondern sich die Förderungen zu erarbeiten. In der Wissenschaft ist es wie im Spitzensport: Wir müssen gegen die besten Universitäten weltweit antreten, wie Stanford oder Singapur. Da sind Höchstleistungen gefragt – und mitunter auch mehr Individualisierung.


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