02/2024 News mittlere Spalte Forschung
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Die Technologie des Cochlea-Implantats aus Österreich hat das Leben von Tausenden Menschen auf der ganzen Welt grundlegend verändert.
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Der Chip im Gehirn

Was Elon Musk groß verkauft, tun österreichische Wissenschaftler im Stillen – sie entwickeln High-Tech-Implantate, die Gehirn oder Muskeln mit einem Computer verbinden, um Menschen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Und das tun sie durchaus erfolgreich.

von: Wolfgang Pozsogar

Als Elon Musks Unternehmen Neuralink im Jänner des heurigen Jahres ein mit einem Computer verbundenes kleines Gerät – den viel zitierte Chip – in das Gehirn eines ab der Schulter abwärts gelähmten Menschen implantierte, ging das als Breaking News um die Welt.

Eine große Sensation? Nicht wirklich, meinen renommierte europäische Wissenschaftler. Sie finden es zwar beeindruckend, wie Musk Top-Forscher auf diesem Gebiet für Neuralink gewinnt und sein Projekt mit beträchtlichem Kapitaleinsatz vorantreibt. Auch die Tatsache, dass das viel propagierte Implantat über 1024 fadenartige Elektroden verfügt, die ein Roboter mit dem Gehirn verbindet, bezeichnen Experten als bemerkenswert. Aber grundlegend neu sei das Konzept nicht, meinen Experten übereinstimmend. An Schnittstellen zwischen Mensch und Computer wird schon seit vielen Jahren geforscht.

Auch in Österreich: Mit deutlich geringerem öffentlichen Getöne und wesentlich weniger Kapital gibt es hierzulande beeindruckende Projekte auf diesem Gebiet, die in der Fachwelt durchaus internationale Beachtung finden. Gernot Müller-Putz beispielsweise, Universitätsprofessor und Leiter des Institutes für Neurotechnologie an der TU-Graz, beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Gehirn-Computer-Schnittstellen. „Mit der Kraft seiner Gedanken“ hat er bereits während des Studiums gemeinsam mit anderen Studenten den Cursor-Schläger des legendären Video-Tischtennisspiels „Pong“ bewegt – das war vor rund zwei Jahrzehnten, statt eines Chips im Kopf nahm damals eine Elektroden-Kappe die Steuerbefehle aus dem Gehirn auf.

Brain-Computer-Interface-Technologie aus Graz

Heute arbeiten Müller-Putz und sein Team im EU-Projekt INTRECOM (Intracranial Neuro Telemetry to Restore Communication) gemeinsam mit dem Universitair Medisch Centrum im Utrecht, dem Wyss Center for Bio and Neuro Engineering in Genf sowie dem Elektrodenproduzenten CorTec in Freiburg an der Entwicklung einer vollständig implantierbaren Brain-Computer-Interface-Technologie. Das Projekt wird vom European Innovation Council (EIC) mit immerhin vier Millionen Euro und von der Schweizer Regierung mit zwei Millionen Euro gefördert.

Die Hardware ist weitgehend fertig, erzählt der Wissenschaftler. Derzeit wird an der Software gearbeitet, an Dekodieralgorithmen, mit denen die elektrischen Ströme aus dem Gehirn in konkrete Anweisungen umgewandelt werden. In Graz liegt der Fokus auf der Bewegungsdekodierung, in Utrecht auf Spracherkennung. In der nächsten Phase geht es um Vorbereitungsarbeiten für das Einsetzen des Implantates beginnend bei Sicherheitstests über Genehmigung des ersten Einsatzes durch die Ethikkommission bis zur Suche von freiwilligen Patienten in Österreich und den Niederlanden. Spätestens in zwei Jahren sollen Neurochirurgen der MedUni Graz das neue Gerät einem Menschen einsetzen. „Das System wird von der Hirnoberfläche Signale ableiten und drahtlos nach außen an einen Rechner senden“, erläutert Müller-Putz.

Die Isolation im eigenen ­Körper durchbrechen

An den Medizinischen Universitäten in Utrecht und in Graz werden Wissenschaftler dann die beiden ersten Patienten so trainieren, dass sie mit Hilfe der Signale ihres Gehirns einen Cursor auf einem Bildschirm steuern können, um Buchstaben und Worte auszuwählen und auf diese Weise mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. „Die Technologie ist vor allem für Menschen bestimmt, die vom Locked-In-Syndrom betroffen sind, die also vollständig gelähmt sind und nicht mehr kommunizieren können, bei denen aber das Denken noch funktioniert“, erklärt der Grazer Wissenschaftler. Motoneuronerkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Spinale Muskelatrophie (SMA), aber auch Traumata oder Schlaganfälle können eine solche Isolation im eigenen Körper – ein für Patienten und Angehörige dramatischer Zustand – verursachen.

Das von den Wissenschaftlern der TU-Graz mit ihren Partnern entwickelte Brain-Computer-Interface-Technologie soll diesen Patienten dank KI-Nutzung erstmals ermöglichen, quasi in Echtzeit mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. „Und das alles kann nach wenigen Tagen Aufenthalt im Krankenhaus auch im privaten Umfeld stattfinden,“ sagt Müller-Putz. Er ist „maximal optimistisch“, dass diese völlig neue Lösung alle Erwartungen erfüllen wird. „Wenn wir Erfolg haben, wird diese Technologie weltweit Aufmerksamkeit finden und neue Chancen für die Wissenschaft in Graz und in Österreich eröffnen.“

An der Klinischen Abteilung für Plastische Chirurgie der MedUni Wien arbeitet Universitätsprofessor Oskar C. Aszmann an einer anderen Lösung, um Nervenimpulse elektronisch zu erfassen und Patienten damit das Steuern von Arm- oder Beinprothesen zu ermöglichen. Aszmann und sein Team an der MedUni Wien sind weltweit führend bei der bionischen Rekonstruktion von Extremitäten. Um Bewegungssignale zu erfassen, so die Ansicht des Wissenschaftlers, ist die Hirnrinde der schlechteste Ort. „Das Denken einer Bewegung ist ein sehr komplexes neurophysiologisches Korrelat bei dem zahlreiche Faktoren bis hin zu den Hormonen eine Rolle spielen, das lässt sich nicht auf ein computeradäquates 0-1 reduzieren.“

Mit der Sprache der Muskeln

Aszmann geht daher einen anderen Weg. „Wenn der Patient an Bewegung denkt, wird ein Impulsmuster generiert welches letztlich auf Muskelsignale herunterdekliniert wird. Diese Muskeln agieren dann als Übersetzer und Verstärker neuronaler Informationen und dort setzen wir an, um komplexe Biosignale mit Hilfe von KI in die 0-1-Sprache des Computer zu übersetzen“, erzählt er. Nach diesem Prinzip hat Aszmann bereits 2020 in Kooperation mit dem Center für Extreme Bionics des MIT sowie dem Departement of Electrical Engineering der Uni Göteborg die weltweit erste sofort einsetzbare, bionische Arm-Prothese entwickelt und eingesetzt. Die Signalübertragung erfolgte damit bereits so detailliert und schnell, dass der Patient einzelne Finger der Prothese topographisch korrekt und ausreichend schnell wahrnehmen kann.

Derzeit entwickelt Aszmann gemeinsam mit Wissenschaftlern des Londoner Imperial College dieses Prinzip weiter. Vor etwa drei Monaten wurde erstmalig ein Sensor mit 64 Elektroden in einen Menschen implantiert, um „die Sprache der Muskel auszulesen“, wie es der Wissenschaftler formuliert. Aszmann ist von den Möglichkeiten begeistert und arbeitet mit seinem Team nun daran, diese umfangreichen Signale aus dem Muskel mit Hilfe von KI in prothetische Funktionen umzusetzen. Ziel ist ein Vollimplantat, das inklusive drahtlos aufladbarer Batterie und Elektronik im betreffenden Körperteil des Patienten verbleibt und die Muskelsignale in Echtzeit in präzise Bewegungen der Prothese umsetzt – ein Ersatz für eine verlorene Hand oder einen Fuß mit völlig neuen Möglichkeiten. Entwicklung und Produktion dieses revolutionären Implantats werden voraussichtlich in den USA erfolgen, da sich in Europa kein geeignetes Unternehmen fand.

Ein Implantat ermöglicht ­Gehörlosen wieder hören

Wobei eine österreichisches Unternehmen in einem ähnlichen Bereich durchaus zur Weltspitze zählt und lange vor Neuralink ein Implantat entwickelte, das über Elektroden Signale an einen Nerv im Gehirn sendet – die Rede ist vom Cochlea-Implantat, mit dem Gehörlose wieder hören können. Das erste Gerät wurde auf Basis von Forschungsarbeiten der Österreicherin Ingeborg Hochmair bereits 1977 erstmals implantiert.

Die Technologie aus Österreich hat das Leben von Tausenden Menschen auf der ganzen Welt grundlegend verändert. Gehörlose, die sich früher nur schriftlich oder in der Gebärdensprache verständigen konnten, sind durch das Cochlea-Implantat in der Lage, wie Hörende zu kommunizieren. Das von der Erfinderin und ihrem Mann gegründete Familienunternehmen MED-EL Medical Electronics mit Hauptsitz in Innsbruck ist heute der führende Hersteller von implantierbaren Hörlösungen und beschäftigt weltweit in 30 Niederlassungen mehr als 2200 Mitarbeiter aus 75 Nationen.

Die Technik, die Gehörlose wieder hören lässt, wird von MED-EL in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern in vielen Ländern weiter entwickelt. Gemeinsam mit der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten an der MedUni Wien wurde etwa eine Roboter-Technologie entwickelt, um für das Cochlea-Implantat vollautomatisch und minimalinvasiv einen präzisen Zugang zum Innenohr zu legen. Der erste Einsatz dieser revolutionären Robotertechnik erfolgte bereits 2021.

Geräusche müssen ­verstanden werden

Das Cochlea-Implantat zeigt aber auch mögliche Grenzen auf, um über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle Einfluss auf das kognitive Geschehen zu nehmen. Es muss nämlich bei gehörlos geborenen Kindern bis zum zweiten Lebensjahr, bei Erwachsenen möglichst rasch nach Verlust des Hörvermögens implantiert werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Gehirn in der Lage ist, die akustischen Impulse als Sprache oder Musik zu interpretieren. Gehörlos geborene Erwachsene, die ein Cochlea-Implantat bekamen, konnten damit zwar „hören“ – aber was im Hörzentrum des Gehirns ankam, empfanden sie nur als mehr oder weniger unangenehme Geräusche. Ihr Gehirn konnte nicht mehr wie im Kindesalter lernen, die empfangenen Signale als Sprache, Musik oder Rauschen des Windes zu interpretieren. Somit dürfte ein echter Cyborg, der über einen Chip im Kopf etwa auf riesige Wissensdatenbanken zugreift, zumindest vorläufig ein Wunschtraum bleiben – selbst für Elon Musk.

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