02/2024 News mittlere Spalte Forschung
© Norbert Regitnig-Tillian
© Norbert Regitnig-Tillian

"Fleisch" aus Luft?

Wie kann man Luft in Proteine verwandeln? Mit Magie aus dem „Harry Potter“-Universum? Mit Science-Fiction aus „Star Trek“-Wissenschaft? Nein. Es ist ernsthafte Forschung – und sie ist weiter, als man denkt.

von: Norbert Regitnig-Tillian

Die ersten Ansätze für die tier- und pflanzenlose Lebensmittelproduktion wurden in den 1960er-Jahren entwickelt. Der Schlüssel dazu ist der Kohlenstoff, sagt Diethard Mattanovich vom Institut für Mikrobiologie und mikrobielle Biotechnologie an der Wiener Universität für Bodenkultur. „Damals überlegte die Forschung noch, wie man Kohlenwasserstoffe, vor allem Erdgas, zur Nahrungsmittelproduktion einsetzen könnte.“ Die Lösung: Kohlenwasserstoffe lassen sich mittels Energie und chemischen Prozessen in die Einzelbestandteile zerlegen – etwa Essig- oder Ameisensäure, aber auch Alkohole wie Methanol oder Ethanol. Mikro-organismen – Hefen, Bakterien oder Pilze – könnten diese einfachen chemischen Verbindungen dann zu Aminosäuren oder Proteinen verstoffwechseln.

Das Interessante dabei, das Mikro-benfutter kann auch aus anderen Quellen stammen: „Heute nimmt man den Kohlenstoff für solche Prozesse nicht mehr aus fossilen Quellen, sondern aus dem Klimagas CO2“, sagt Mattachovich.

NASA-Studie machte den Anfang

Einst, in den 1960er-Jahren, war wie so oft die Weltraumforschung vorn mit dabei. So hat die NASA 1967 eine Studie publiziert, die erläutert, wie sie eine 100-köpfige Crew auf einem mehrjährigen Flug zum Mars mit Nahrung versorgen würde.

Die Studie beschreibt detailliert die Möglichkeiten der Biosynthese von Aminosäuren und Proteinen durch Mikroorganismen, die Folgeprodukte aus dem CO2 der Atemluft der -Astronauten verstoffwechseln. Schon damals war aus der Forschung der Petrochemie bekannt, dass man mit entsprechenden Mikroorganismen Nahrungsprodukte mit einem Proteingehalt von 70 bis 75 Prozent erzeugen könnte.

Größter Effekt: Lebensmittel

Die Forschung in der mikrobiellen Biotechnologie ist heute freilich schon wesentlich weiter. Hefen, Bakterien und Pilze können mittels gentechnischer Eingriffe so designt werden, dass sie sich direkt aus CO2 und CO2-Folgepprodukten (C1-Produkte) ernähren und mit ihrem Stoffwechselprozess eine breite Produktpalette erzeugen können – nicht nur hochwertige Proteine, sondern auch Plastik und Benzine. Und auch die Abspaltung von CO2 aus Luft und Rauchgas ist inzwischen weit fortgeschritten.

Im Rahmen des Klimaschutzes hätten vor allem tier- und pflanzenlos erzeugte Lebensmittel den größten Effekt. Denn „die Landwirtschaft ist heute für 25 bis 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich“, sagt die Mikrobiologin Simone Bachleitner. Sie hat mit ihrer Kollegin Özge Ata und Diethard Mattanovich Ende letzten Jahres einen Artikel über das Potenzial mikrobieller Biotechnologie zur Bekämpfung der Klimakrise in „Nature communications“ veröffentlicht.

Entlastung in der steigenden Landnachfrage

Da die Weltbevölkerung weiterwächst und im Jahr 2050 voraussichtlich 10,4 Milliarden Menschen erreichen wird, könnte mikrobiell erzeugte Nahrung für eine Entlastung in der steigenden Landnachfrage sorgen. Derzeit wird etwa die Hälfte der Agrarfläche für die Futtermittelproduktion von Tieren verwendet. Soja für die Tierfütterung könnte aber sukzessive durch mikrobielle Proteine ersetzt werden, die von -Mikroorganismen erzeugt werden, die Kohlenstoff aus der Luft verstoffwechseln. Aber auch die Produktion von Fischfutter oder der Ersatz von Palmöl könnte in Zukunft nicht am Land, sondern in Bioreaktoren stattfinden. Möglich ist es bereits – so wie die Fütterung von Mikroben mit „Luft-Kohlenstoff“ für die mikrobielle Herstellung von Milch-, Ei- und Fleischprodukten. Auch das wäre ein wertvoller Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise. Denn die weltweite Fleisch- und Milchproduktion ist mittlerweile für 14,5 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Die Bill & Melinda Gates Foundation und die Novo Nordisk Foundation unterstützen bereits ein neues Konsortium, das CO2 in Proteine für Lebensmittel umwandelt. Ziel ist, innerhalb von zwei Jahren Demons-trationsmaßstäbe für diese Technologie zu erreichen, die das Potenzial haben, die Ernährungssicherheit besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbessern.

Rauchgas als Mikrobenfutter

Luft in der Atmosphäre hat heute eine CO2-Konzentration von 0,04 Prozent. Das ist zwar klimaschädlich, aber für die ökonomische Gewinnung von Kohlenstoff aus der Luft ist die Konzentration zu gering. Um die Effizienz zu erhöhen, kann CO2 dort eingefangen werden, wo es entsteht, etwa aus Rauchgas bei der Zementproduktion. „Darin hat es eine Konzentration von 30 Prozent“, sagt Wolfgang Schöfberger, Chemiker an der Johannes Kepler Universität Linz.

Er hat für CO2-Aufbereitung aus Rauchgas eine effiziente Katalysatortechnologie entwickelt. Darin enthaltenes CO2 wird mit Wasserdampf angefeuchtet und mittels Strom aus speziellen Katalysatoren zu Synthesegas (CO und H) aufgespalten. Dieses kann dann zu „Mikrobenfutter“ weiterverarbeitet werden. Anlagen für diese „Carbon Capture and Utilization“-(CCU)-Technologie werden gerade in industriellen Maßstäben hochskaliert. So könnten Zementwerke in Zukunft effizient Mikrobenfutter für die tier- und pflanzenlose Lebensmittelproduktion liefern.

Tierfrei produzierte Milch-, Ei- oder Fleischprodukte

Gentechnisch veränderte Mikroorganismen ermöglichen die Produktion von identischen Tierproteinen. So werden bereits tier- und pflanzenlose Molkeproteine, Ei-Ovalbin oder Hämoglobin hergestellt. Der Fleischgeschmack des „Impossible Burgers“ stammt aus mikrobiell hergestelltem Hämoglobin, dessen genetischer Code aus der Sojawurzel stammt. Das „Soja-Blut“ ist in Europa zwar noch nicht zugelassen. Das in Berlin ansässige Start-up Formo produziert aber bereits Rührei aus mikrobiellem Eiweiß und mehrere Käsesorten, etwa Feta, Pizza- und Schimmelkäse, aus bereits zugelassenen mikrobiellen Molkeproteinen.

Andere Unternehmen experimentieren mit der mikrobiellen Eisproduktion oder protein- und vitaminreichen Power-Riegeln. Das dafür nötige „Mikrobenfutter“ könnte in Zukunft aus CCU-Technologien stammen. Das amerikanische Start-up „airproteine“ wirbt bereits damit, Proteine mit CO2 aus der Luft herzustellen.   

Benzin aus Mikroorganismen?

Derzeit wird die mikrobielle Biotechnologie noch selten mit der Produktion von Proteinen diskutiert. Dafür aber gehen die Wogen in den Debatten hoch, weil die Mikroorganismen das CO2 auch zu Kraftstoffen metabolisieren könnten. „Für den Klimaschutz wäre mikrobiell produziertes Benzin ein Unsinn“, sagt Diethard Matanovich, Vorstand des Instituts für Mikrobiologie und mikrobielle Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur. Zum einen wäre die Herstellung teuer, da für die CO2-Abspaltung und Neuformierung in Mikrobenfutter viel erneuerbare Energie verwendet werden muss. Weil Verbrennungsmotoren aber auch mit mikrobiell hergestelltem Benzin nur einen Gesamtwirkungsgrad von 30 Prozent auf die Räder bringen, wäre das zum anderen Ressourcenverschwendung. „Elektroautos bringen bis zu 80 Prozent Energiewirkungsgrad auf die Straße. Erneuerbar hergestellter Strom wäre in der direkten Batterieaufladung für Elektromobilität daher viel besser verwendet.“

Bei Flugbenzin könnte die mikrobielle Herstellung noch nachvollziehbarer sein, weil batteriebetriebene Flugzeuge (bisher) nur auf Kurzstrecken zum Einsatz kommen könnten. Würde man theoretisch das gesamte Kerosin mikrobiell herstellen, könnte man damit jährlich zwar eine Gigatonne CO2 einsparen. Für die mikrobielle Produktion müsste aber erneuerbare Energie in der Größenordnung von 10.000 Terrawattstunden aufgebracht werden – das entspricht einem Drittel der jährlichen globalen Stromproduktion.


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