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Fotos: Weltbank, LEC

Hindernisse und Chancen

2050 soll der Weltenergieverbrauch nur noch aus erneuerbaren Quellen stammen. Grüne Energiequellen sind in Unmengen vorhanden, aber viele Technologien für die CO2-freie Produktion sind noch nicht marktreif. Laut Studien rechnet sich Energiewende aber schnell und bietet der Industrie viele Chancen.

von: Norbert Regitnig-Tillian

Wenn Manfred Hafner Vorlesungen über die Wasserstoffökonomie der Zukunft hält, flechtet er immer gerne eine gute Nachricht ein: „Es gibt grüne Energie im Überfluss“, sagt der Experte für die Energiewende von der Johns-Hopkins University. Dann zeigt er bunte Weltkarten, auf denen ein paar kleine schwarze Punkte den Weltenergieverbrauch in Form von eingestrahlter Sonnenenergie darstellen, oder Wind-Atlanten auf denen die 20 besten Winderntegebiete der Welt eingezeichnet sind. Die Nordsee, Kap Hoorn und das Kap der guten Hoffnung sind da auch dabei. Betrachtet man die atmosphärischen Turbulenzen als Kraftwärmemaschinen, so produziert die Erde auch allein mit Wind den hundertfachen jährlichen Energieverbrauch, sagt Hafner.

35 Gigatonnen CO2
Die Botschaft: Das Nachdenken über die Energiewende lohnt sich, auch wenn es noch haufenweise Herausforderungen gibt. Denn die Zeit drängt. Derzeit werden weltweit jährlich 35 Gigatonnen, also 35 Milliarden Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Zwar gab es eine kleine Delle aus Pandemiezeiten. Aber 2021 waren die Emissionen wieder auf „Normalniveau“. Um das Pariser Klimaziel mit einem maximalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad einzuhalten, muss „business as usual“ aber ehebaldigst der Vergangenheit angehören. Denn das CO2 -Budget, das dazu noch in die Luft geblasen werden darf, beläuft sich laut IPC-Report nur noch auf knappe 500 Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Ob eine CO2 -frei produzierende Welt noch schaffbar ist? Ja und nein. Nach den politischen Roadmaps wird es knapp. Denn selbst in den avanciertesten Klimaschutzszenarien, die mehr oder weniger alle Absichtserklärungen der Industrieländer beinhalten, wird man bis 2050 schwer das 1,5 Grad Ziel einhalten und eher die 2-Grad-Erwärmungs-Grenze schrammen. „Es muss deutlich schneller gehen“, sagt daher das wissenschaftliche Konsortium „Climate Action Tracker“, das die Maßnahmen aller Industriestaaten weltweit beobachtet.

Die fehlenden vier Fünftel
Das Grundproblem, das weltweit besteht, ist nicht ohne: Für zero-net-emission müssen alle fossilen Quellen Erdgas, Erdöl, Koks und Kohle aus der Bilanz der Primärenergie eliminiert werden. Von den rund 160.000 Terrawattstunden, die 2021 global verbraucht wurden, stammt aber derzeit nur knapp ein Fünftel aus erneuerbaren Quellen wie Wasser, Wind und Sonne. 80 Prozent der Primärenergie ist fossil. Auch Strom wird weltweit noch zu 70 Prozent aus fossilen Quellen Gas und Kohle erzeugt. Die Aufgabe der Energiewende besteht nun darin, nicht nur die Stromproduktion, sondern den gesamten Primärenergieverbrauch aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten. Und das ist durchaus ambitioniert bis 2050.

Ab ins Stromzeitalter
Technisch möglich ist es. Das haben bereits eine Reihe von Studien durchgerechnet. Besonders prominent ist dabei die von der finnischen Universität LUT, die 2019 veröffentlicht wurde. Nach vierjährigen Vorarbeiten modellierte sie eine globale Weltenergieversorgung anhand von realen Daten und Kosten, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt. Grundvoraussetzung: Alle Energiesektoren werden elektrifiziert und die gesamte Stromerzeugung auf das Vier- bis Fünffache des jetzigen Verbrauchs gesteigert. In den energieoptimierten Szenarien soll Primärenergie spätestens 2050 zu 69 Prozent aus Solartechnik und zu 18 Prozent aus Windkraft stammen. Der Rest kommt aus Wasserkraft (3 %), Bioenergie (6 %) und Geothermie (2 %). 2050 wird der Stromverbrauch daher 90 Prozent des Primärenergiebedarfes ausmachen. Gleichzeitig wird die Produktion fossiler und nuklearer Energie eingestellt.

11 Billionen Dollar Einsparungen pro Jahr
Dass sich die 100 Prozent Energie aus erneuerbaren Quellen auch lohnt, hat der an der Stanford University lehrende Engineering Professor Mark Z. Jacobson 2022 in einer Studie im Fachmagazin Energy and Environmental Science vorgerechnet. Er beziffert die Umstellungskosten der globalen Primärenergie auf Wind-Wasser-Sonne zwar mit 62 Billionen US-Dollar (56,8 Billionen Euro). Diese enorme Summe würde sich aber auch schon binnen sechs Jahren amortisieren. Der Grund: Die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen würden den globalen Energiebedarf durch Effizienzerhöhung um mehr als die Hälfte reduzieren. Zugleich fällt die teure fossile Energie weg. So könnte man sich jährlich 11 Billionen Dollar einsparen. In nur sechs Jahren hätten sich also die gewaltigen Investitionen in die Erneuerbaren amortisiert. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die finnische Studie, die den Weltenergieverbrauch durch den Einsatz erneuerbarer Quellen trotz einer jährlich angenommen Steigerung von 1,8 Prozent 2050 durch gleichzeitige Effizienzsteigerung auf demselben Niveau wie 2015 sieht. Hielte man an „business as usal fest“, würde man 2050 doppelt so viel Energie verbrauchen, und die Temperatur würde um vier Grad plus ansteigen. Die Energiewende würde sich also durchaus lohnen.

Schwierige Umsetzung
Der Weg zur CO2 -Freiheit mit Green-Tec hat aber noch viele Baustellen: Aufgesetzt sind diese Modellrechnungen zwar ausschließlich mit bekannten Technologien, mit denen Energie aus Wind und Sonne geerntet und gespeichert werden kann. Dabei sind die einen weiter, die anderen noch nicht so weit entwickelt. Solar- und Windkrafttechnologie wird schon seit Jahren in der Fläche ausgerollt. Verbesserungen werden nach dem Motto: noch größer, noch effizienter vorgenommen. Ebenso ist die Smart-Grid-Technologie schon weit, damit Netze auch bei stark fluktuierenden Einspeisungen stabil gehalten werden können. Bei anderen Technologien gibt es noch viel Luft nach oben.

Problemfall Energiespeicherung
Gerade die Energie-Speicherung ist ein kritischer Punkt, stellt doch die „kalte Dunkelflaute“, also die Frage, was tun bei niedrigen Temperaturen, bei Nacht und Windstille, wenn man nur noch Strom aus Wind und Sonne bezieht, eine berechtigte Sorge dar, – inklusive „Blackout“-Ängsten und den damit einhergehenden Wirtschaftskrisen oder Hungersnöten. Das soll durch die Weiterentwicklung von Speichertechnologie vermieden werden, die von Batterien, Strom-Wärme-Kraft- und Sektorenkopplungen bis hin zu synthetischen Kraftstoffen (Power-to-X) reicht. Grüner Wasserstoff und andere Flüssigkraftstoffe, die mit Power-to-X-Technologien hergestellt werden, sind jedenfalls zentral für die Energiewende. Denn mit den synthetischen „drop in fuels“ können die Stromnetze entlastet und Energie auch transportiert werden. Flüssiges Ammoniak gilt derzeit etwa als Kompromisskandidat, um die internationale Schifffahrt von Diesel auf „zero-net-emission“ umzurüsten.

Beispiel emissionsfreie Schifffahrt
Das Grazer Large Engines Competence Center (LEC) ist etwa mit Projekten wie HyMethShip maßgeblich daran beteiligt und testet auch den Einsatz von E-Fuels an einem neuen Motorstand in Graz. Für eine emissionsfreie Schifffahrt sind freilich noch einige Herausforderungen zu meistern. So bräuchten Frachtschiffe für 1.000 Seemeilen ein viermal so hohes Tankvolumen als mit Diesel, aber nur halb so viel wie mit Wasserstoff-Technologie. Elektrifizierte Schiffsantriebe fallen derzeit überhaupt aus. Bei der jetzigen Energiedichte würden Batterien den gesamten Frachtraum ausfüllen, um ein Containerschiff von Asien nach Europa zu schippern. Ammoniak ist auch ein Bespiel für die Größenordnungen, mit denen bei der Energiewende gearbeitet wird: Der Anteil der Schifffahrt am CO2 -Ausstoß weltweit beträgt rund drei Prozent. Schätzungen gehen davon aus, dass man allein für eine 100-prozentige Dekarbonisierung der Schifffahrt jährlich rund 500 Millionen Tonnen grünes Ammoniak benötigen würde. Das stellt die 2,5-fache der derzeitigen Ammoniak-Weltproduktion von 200 Millionen Tonnen dar, welches noch mit chemischen Verfahren aus Erdöl und Erdgas gewonnen wird. Ammoniakhersteller planen bereits Kooperationen mit Elektrolyseunternehmen, um Ammoniak grün herzustellen, etwa aus Strom von dänischen OffshoreWindparks oder PV-Anlagen in der saudi-arabischen Wüste und in Nordafrika. Die derzeit kolportierten Kapazitäten sind aber minimal. Expert*innen der Energiewende sind solche Situationen aber gewohnt. Ein typisches Henne-Ei-Problem, heißt es. Würde sich Ammoniak als neuer Treibstoff für die Schifffahrt etablieren, so könnte das auch die Produktion von grünem Wasserstoff nach sich ziehen. Viele diese innovativen Technologien, die die Energiewende erst möglich machen, werden derzeit erst in Klein- oder DemonstratorenAnlagen getestet. Auch die Elektrolyse von Wasserstoff muss noch um Größenordnungen in die Höhe skaliert werden. Dasselbe gilt für die Produktion synthetischer Kraftstoffe mit „Power-to-X“-Verfahren oder CarbonCapture-Utilization (CCU)-Technologien, mit denen Kohlendioxid im Kreislauf gehalten werden kann. Genau diese Zwischenschritte werden jetzt in Europa strukturiert in Angriff genommen.

Hy2market
Beispielsweise in dem taufrischen EU-Forschungsprojekt „Hy2market“, an dem EU-weit 38 Forschungsinstitutionen und Unternehmen aus acht EU-Ländern teilnehmen. In dem mit 14 Millionen Euro dotierten Projekt sollen Wasserstofftechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Richtung Marktreife weiterentwickelt werden. Etwa Elektrolyseure in Großmaßstab, aber auch CCU-Katalysatorentechnik. Behandelt werden dabei auch rechtliche Fragen, beispielsweise unter welchen Bedingungen die Speicherung von Kohlendioxid in Österreich erlaubt werden sollte. Oder ob Erdgasleitungen für reine Wasserstoffleitungen freigegeben werden können, und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

Dampf aus Wärmepumpen
Intensiv weiterentwickelt werden zudem energieeffiziente Technologien, wie besonders die Wärmepumpe. Durch ihre geniale Funktionsweise stellt sie eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende dar. Denn mit ihr lassen sich mit einer Kilowattstunde (erneuerbaren) Strom vier bis fünf Kilowattstunden (kostenlose) Wärme nicht nur fürs Heizen aus der Umgebung (Wasser, Erde, Luft) entziehen. Neue Hochtemperatur-Wärmepumpen können aus industrieller Abwärme aus Heizen, Kochen, Verdampfen oder Trocknen auch wieder Heißdampf ohne Erdgas-Einsatz mit bis zu 200 Grad Celsius produzieren.

Nicht ohne Energieimporte
Eines ist aber klar: Auch mit größter Sparsamkeit wird grüne Primärenergie auch in Zukunft importiert werden müssen. So braucht etwa eine emissionsfreie österreichische Stahlproduktion grüne Primärenergie in Form von Strom und grünem Wasserstoff im Gegenwert der halben österreichischen Stromproduktion. Wird gleichzeitig die Elektromobilität ausgebaut, reicht heimische Wasserkraft, Solar- und Windkraft bei weitem nicht aus. Die Wasserstoff-Strategie des Klimaministeriums sieht daher Importe als tragende Säule für den heimischen Einsatz vor. Exportländer werden dabei die großen Solarund Windernte-Regionen der Zukunft sein in Südamerika, Afrika und Asien. Weil sie häufig (noch) Entwicklungs- und Schwellenländer sind, versprechen sich Experten durch die Energiewende auch soziale Verbesserungen vor Ort, wie etwa die Elektrifizierung Afrikas. „Es darf auf keinen Fall einer neuer Kolonialismus werden“, heißt es etwa bei der „New Energy Coalition“, einer holländischen Energie-NGO, die das „Hy2market“-Projekt europaweit koordiniert. Man wird sehen.


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