Technology Impact Summit debattiert digitale Souveränität. |© Technology Impact Summit/Christian Mikes
Der zweite Technology Impact Summit brachte führende Köpfe aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in Graz zusammen. Unter dem Titel „KI im Einsatz: Kompetenzen – Anwendungen – Wirkung” diskutierten Experten auf Einladung der Universität Graz, TU Graz, JOANNEUM RESEARCH und FH JOANNEUM über Europas Weg zur digitalen Souveränität – unmittelbar nach dem Berliner Gipfel, bei dem die österreichische Deklaration zur digitalen Unabhängigkeit ratifiziert wurde.
Österreich als Treiber der digitalen Transformation
Digitalisierungsstaatssekretär Alexander Pröll unterstrich Österreichs Vorreiterrolle: „Europa ist aufgewacht und dabei, seine Unabhängigkeit zurückzuerlangen. Der kluge Weg führt in eine kooperative Multi-Strategie aus eigener Entwicklungsstärke und verlässlichen Partnerschaften. Österreich ist der Treiber, um ein gemeinsames Verständnis für digitale Souveränität unter den Mitgliedsstaaten zu entwickeln.”
Die österreichische Deklaration wurde beim Gipfel von Friedrich Merz und Emmanuel Macron von allen EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet. Pröll kündigte konkrete Schritte an: „Der erste nationale Schritt wird ein Entbürokratisierungspaket in Österreich in diesem Jahr werden, mit dem wir unsere Wirtschaft wieder auf den Wachstumspfad lenken!”
Henna Virkkunen, Exekutiv-Vizepräsidentin für technische Souveränität der EU-Kommission, ergänzte nach Verabschiedung des digitalen Omnibusses: „Die Geschwindigkeit, mit der Künstliche Intelligenz unser gesamtes Leben verändert, ist atemberaubend. Die Europäische Union entwickelt durch digitale Souveränität neue Stärke und verfolgt eine langfristige Strategie, um alle Wirtschaftssektoren in der technologischen Entwicklung zur globalen Vorreiterrolle zu unterstützen.”
Wissenschaft als Fundament technologischer Souveränität
Die Veranstalter betonten die zentrale Rolle der Forschung. Peter Riedler von der Universität Graz verwies auf „die Vernetzung von Kompetenzen und den Transfer neuer Technologien in die Wirtschaft”. TU-Rektor Horst Bischof unterstrich: „Entscheidend bei neuen Technologien ist die Vertrauenswürdigkeit, die durch einen offenen und transparenten Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft geschaffen wird.”
Heinz Mayer von JOANNEUM RESEARCH hob hervor: „Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind kein Neuland für die österreichische Wissenschaft. Das gebündelte und fundierte Wissen an den heimischen Forschungseinrichtungen ist ein Standortvorteil, von dem Österreich profitiert.”
Scharfe Kritik an europäischer Überregulierung
Die Diskussion zur technologischen Souveränität mit Karl-Theodor zu Guttenberg, Taiwan-Expertin Josie-Marie Perkuhn und Harald Leitenmüller von Microsoft offenbarte grundlegende Probleme der EU-Strategie.
„Überregulierung ist ein Synonym für Verantwortungslosigkeit”, kritisierte Leitenmüller und vermisste Geschwindigkeit bei der Umsetzung sowie mangelnde Anpassungsfähigkeit an technologische Innovation. Er plädierte für pragmatische Kooperation statt dogmatischer Abschottung und betonte: „Die österreichische Deklaration ist ein erster Schritt der Politik, Verantwortung für digitale Eigenständigkeit zu übernehmen.”
Noch deutlicher wurde Karl-Theodor zu Guttenberg: „Wir sind durch eine obsessive Riskovermeidungsmentalität massiv überreguliert und haben panische Angst vor dem Scheitern in Europa. Nostalgisches Verständnis muss sich technologischen Realitäten anpassen, um Innovationen zu ermöglichen.”
Der Unternehmer bezeichnete den „KI-Turbo” der EU mit einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag als „stotternden Diesel”, der im internationalen Wettbewerb ausgebremst werde. Der Stolz auf „Hidden Champions” sei ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die unternehmerische und wissenschaftliche Leistungen nicht ausreichend würdigt.
TU-Rektor Bischof bekräftigte, dass Überregulierung verhindere, wegweisende Projekte aus der Forschung in die Praxis zu übertragen. Die gesetzgebenden Gremien der EU bezeichnete er als praxisfern und risikoavers.
Effiziente KI-Nutzung als Wettbewerbsvorteil
Liquid-AI-Gründer Ramin Hasani zeigte in seiner Keynote einen neuen Zugang zur Künstlichen Intelligenz auf. Er verwies auf die enorme Rechenkapazität, die auf Endgeräten und in Autos ungenutzt bleibt, während Rechenzentren erheblichen Datenverkehr und Kosten verursachen.
„Die effiziente Nutzung bestehender Ressourcen und Architekturen ist fundamental, um den Energiebedarf substanziell zu reduzieren und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in Einklang mit Klima- und Umweltschutz zu bringen”, fasste Hasani zusammen.
Warnung vor ineffizienten KI-Projekten
Georg Schneider von der Universität Graz und Patrick Wollner von McKinsey & Company warnten vor einer KI-Blase ohne echten Mehrwert. Wollner kritisierte, dass sich die Wirtschaft in ineffizienten Pilotprojekten mit wenig Impact verliere. „80 Prozent der derzeit umgesetzten KI-Initiativen würde ich einstellen, da sie weder messbar sind, noch unternehmerischen Mehrwert bringen”, so der Unternehmensberater.
Beide Experten betonten, dass große Fortschritte nur mit großen Investitionen möglich seien. „Europa hat dringenden Aufholbedarf, um Lösungen mit effektiver Wirkung zu entwickeln. Sonst droht die Gefahr, Imitator zu bleiben und nicht Innovator zu werden”, warnte Schneider.
Wollner forderte: „Es braucht harte Faktoren und Messbarkeit, um nicht die Orientierung in der technologischen Entwicklung zu verlieren. Der konkrete Business Case muss das Ziel für den Einsatz Künstlicher Intelligenz sein: Technologie und wirtschaftliches Denken müssen zusammengeführt werden.”
Technologiekompetenz statt Überregulierung
Andreas Windisch von JOANNEUM RESEARCH betonte die Notwendigkeit von Technologiekompetenz in der Gesellschaft: „User müssen in der Lage sein wohl informierte Entscheidungen in einem komplexen Umfeld zu treffen. Motiviertes Lernen erfolgt nicht durch Paragrafen und Überregulierung, sondern durch Freiräume, Fehlerkultur und Exploration.”
Petia Niederländer von der Oesterreichischen Nationalbank ergänzte: „Menschen lernen voneinander in Netzwerken. Es braucht rechtliche und regulatorische Leitplanken sowie vertrauenswürdige Vorbilder und Multiplikatoren, um den Prozess in die richtige Richtung zu lenken. Der öffentlichen Verwaltung kommt eine hohe Bedeutung zu, um Vertrauen in neue Technologien zu entwickeln.”
Paradigmenwechsel in der Unternehmensorganisation
Change-Experte Michael Timmermann prognostizierte eine dreistufige Entwicklung von Organisationen: Von KI-befähigten über KI-integrierte bis hin zu KI-First-Organisationen. In der finalen Stufe werde Artificial Super Intelligence das Unternehmen aktiv mitgestalten, während der Mensch zum ethischen Rahmengestalter wird.
Andreas Zehetner von Timmermann prophezeite eine neue Kultur durch gleichberechtigte Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Er stellte jedoch fest: „Aktuell versuchen Unternehmen, Probleme mit Künstlicher Intelligenz zu lösen, die nicht durch Künstliche Intelligenz lösbar sind.”
Warnung vor kognitivem Verfall
Elisabeth L’Orange von Deloitte sprach von einem „Janus-Moment” in der Geschichte der Menschheit aufgrund der enormen Geschwindigkeit technologischer Entwicklung. Die Tech-Podcasterin warnte vor dem Abbau menschlicher Fähigkeiten durch zu große Abhängigkeit von KI-Systemen.
Seit Einführung sozialer Medien um 2010 finde ein kognitiver Verfall mit erheblichen Auswirkungen auf Fähigkeiten in Lesen, Schreiben und Rechnen statt. Der permanente Umgang mit Algorithmen habe nachhaltige Auswirkungen auf die Gehirnstruktur und lasse Dopamin zur neuen Währung werden.
Praxis-Showcase: Sieben KI-Anwendungen aus dem DACH-Raum
Das Nachmittagsprogramm des Summit präsentierte konkrete Implementierungen aus verschiedenen Branchen.
Inside-Sales im technischen Großhandel (ACP)
ACP demonstrierte die Kombination von KI und Human Intelligence im technischen Großhandel. „Wir haben versucht, KI und HI – Human Intelligence – in die Zusammenarbeit zu bringen”, erklärte Alexander Liebl, Director Business Consulting. Das System kombiniert AI-Voice-Agenten für Routineanfragen mit KI-gestützten menschlichen Agenten.
„KI ist der neue Akteur in der intelligenten Zusammenarbeit. Nur wer Daten und Prozesse intelligent miteinander verbindet, schafft ein Arbeitsumfeld mit wirkungsvoller Collaboration von Human Intelligence und Artificial Intelligence”, fasste Liebl zusammen.
Dokumentenmanagement (CANCOM)
CANCOM präsentierte eine KI-Lösung für betriebliches Dokumentenmanagement, die eine Automatisierung von 84 Prozent erreicht. „Das große Problem unserer Kunden: Es ist zu Doppenanlagen und fehlenden Zuordnungen gekommen”, erklärte Jürgen Altenriederer, Technical Consultant.
Seine zentrale Botschaft: „KI ersetzt keine Menschen – sie braucht Menschen, die Veränderung gestalten.”
Cybersecurity (FH JOANNEUM)
Die FH JOANNEUM zeigte, wie KI das Industrial Penetration Testing unterstützt, indem sie Standardaufgaben übernimmt. „Es gibt kaum Testsysteme, daher muss man vorsichtig sein”, betonte FH-Professor Klaus Gebeshuber. Sein Fazit: „KI & Industrial Penetration Testing hat massiv Potenzial, auf menschliche Mitarbeit ist jedoch nicht zu verzichten.”
Dokumentenverarbeitung (Österreichische Post Business Solutions)
Mit DAiTA – Document AI Transformation and Automation – adressierte die Post Business Solutions die manuelle Dokumentenverarbeitung. „Wir eliminieren das Geschäftsrisiko falscher Eingangsdaten”, erklärte Bereichsleiter George Wallner. Skalierbare Verarbeitung von einer bis zu 20.000 Seiten pro Stunde mit qualitätssichernden Maßnahmen sichern höchste Präzision.
Strategische Planung (Raiffeisen-Landesbank Steiermark)
Die RLB Steiermark stellte ein simulationsbasiertes Prognosemodell für strategische Entscheidungen vor. „KI wird oft überschätzt – Technik allein löst keine Grundsatzprobleme”, betonte Florian Brugger, Abteilungsleiter. Das Modell bildet die Grundlage für Standortentscheidungen und strategische Planung.
Wissensmanagement (VTU und Leftshift One)
VTU und Leftshift One machten internes Expertenwissen in Industrieunternehmen zugänglich. „KI ist kein Trend, KI ersetzt unser Denken nicht, sie macht Wissen nutzbar”, erklärte Patrick Ratheiser, Gründer von Leftshift One.
Karin Kaltseis, Director Quality Management der VTU Group, betonte die Bedeutung menschlichen Trainings: „Zwischen dem ersten Output und da, wo wir jetzt sind – da liegen Welten.”
Autonome Systeme (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt)
Das DLR präsentierte KI-Anwendungen in der Raumfahrt, wo Sicherheit und Fehlertoleranz zentral sind. „KI in sicherheitskritischen Anwendungen: große Herausforderungen, großes Potenzial”, erklärte Forscher Kai Dresia. Die KI lernt mittels Reinforcement Learning auf Basis digitaler Zwillinge autonome Steuerungen für Raketentriebwerke.
Technologie stärkt den Menschen
„Künstliche Intelligenz entfaltet ihren größten Wert dort, wo sie den Menschen stärkt: indem sie Komplexität reduziert, Entscheidungen fundiert unterstützt und Raum für echte Innovationskraft schafft”, resümierte Markus Fallenböck, Vizerektor der Universität Graz und Mitinitiator des Technology Impact Summit.
Die Veranstaltung machte deutlich: Europa steht am Scheideweg zwischen Überregulierung und innovativer Zukunftsgestaltung. Der Erfolg wird davon abhängen, ob es gelingt, wissenschaftliche Exzellenz, pragmatische Regulierung und mutige Investitionen zu vereinen.
