Ilse Merkinger-Boira, People Counselor & Public Relations Lead bei EBCONT group. | © EBCONT Martin Pabis
Austria Innovativ hat bei engagierten Frauen nachgefragt, wie sie die Situation im MINT-Bereich einschätzen und wo die Knackpunkte liegen: Therese Niss, Unternehmerin und Vorständin der Mitterbauer Beteiligungs-AG, setzt sich mit der MINTality Stiftung für Mädchen in MINT ein. Für die EBCONT group GmbH verantwortet Ilse Merkinger- Boira die Position People Counselor & Public Relations Lead. EBCONT fördert bereits seit einigen Jahren mit der firmeninternen Initiative Women@EBCONT eine Stärkung der weiblichen Beschäftigten. Die Unternehmerin Gerlinde Macho ist Gründerin von MP2 IT-Solutions, VÖSI Vorstandsmitglied (Verband Österreichischer Software Innovationen) sowie Mitinitiatorin von WOMENinICT. Sie gewährt uns Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen.
Warum entscheiden sich Mädchen trotz guter Noten seltener für MINT-Fächer?
Therese Niss: Es greifen viele Faktoren ineinander und das schon sehr früh. Ein wesentlicher Punkt sind Stereotype und das Zugehörigkeitsgefühl – bei Bezugspersonen so wie auch bei den Mädchen selbst. Trotz guter Leistungen in Mathematik oder Naturwissenschaften zweifeln viele Mädchen an sich – wegen mangelnder Selbstwirksamkeit und weil sie das Gefühl haben, „nicht dazuzugehören“. Stereotype wie „Technik ist männlich“ schwächen das Selbstvertrauen und mindern das Interesse.
Gibt es strukturelle Hürden, die Frauen von einer Karriere in MINT-Bereichen abhalten?
Ilse Merkinger-Boira: Frauen sind in MINT-Feldern häufig durch gesellschaftliche und strukturelle Rahmenbedingungen eingeschränkt, die Vereinbarkeit, Anerkennung und Aufstieg erschweren. MINT-Bereiche sind oft männlich geprägt und hierarchisch, sodass Frauen oft außen vor bleiben, weniger Anerkennung erhalten und schwer Zugang zu wichtigen Netzwerken haben. Und last but not least ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein großes Thema, wie in vielen anderen Branchen auch. Teilzeit, Karenzen und sonstige Auszeiten werden in einer eher männlich geprägten Branche noch immer nicht als normal gesehen. Frauen in MINT-Berufen sehen sich nicht nur mit strukturellen Hürden konfrontiert, sondern auch mit tief verwurzelten gesellschaftlichen Vorurteilen. Der sogenannte Ähnlichkeits-Bias führt dabei unbewusst dazu, dass männlich dominierte Positionen bevorzugt wieder mit Männern besetzt werden. Um diese unbewussten Denkmuster sichtbar zu machen und aktiv zu verändern, haben wir Unconscious Bias Workshops eingeführt und eine Male Allyship Initiative gestartet, die Männer gezielt in die Verantwortung nimmt, Gleichstellung aktiv zu fördern.
Man weiß, dass Diversität Innovation fördert – ist das Ihrer Meinung nach auch bei Entscheidungsträger:innen angekommen?
Merkinger-Boira: Grundsätzlich ist vielen Unternehmen – auch aufgrund des akuten Fachkräftemangels – klar, dass Diversität ein ,,Must” für ein erfolgreiches Fortkommen des Unternehmens ist. Diverse Teams bringen unterschiedliche Sichtweisen, innovative Ansätze und letztendlich bessere Produkte oder Dienstleistungen für die jeweils angesprochene Zielgruppe. Leider hapert es meist noch in der internen Umsetzung, es fehlen die Vorbildwirkung und die notwendigen KPIs, um Fortschritt auch messen zu können. Als Familienunternehmen mit einem Team aus fast 40 unterschiedlichen Nationalitäten und aus sechs Diversitätsdimensionen ist Diversität Teil der EBCONT DNA. Ein eigenes Frauennetzwerk – Women@ EBCONT – sowie Aktivitäten rund um LGBTIQ+ sind bei uns Fixpunkte im täglichen gemeinsamen Arbeiten.
Niss: Hier hat es definitiv Fortschritte gegeben, das Bewusstsein wächst. Wir sehen, dass sich das Mindset in vielen Unternehmen spürbar verändert. Wir haben viele große Unternehmenspartner, die mit uns an einem Strang ziehen und das Thema Stärkung von Mädchen und Frauen in MINT mit uns vorantreiben. Das ist uns sehr wichtig und lässt uns positiv in die Zukunft blicken, weil es nicht reicht, Mädchen für MINT zu begeistern – sie müssen auch in den Unternehmen gehalten werden. Diversität darf nicht nur beim Recruiting enden, sondern muss in den Teams und Strukturen verankert sein. Aber es ist auch klar: Die Umsetzung ist dann meist schwieriger, als man meinen möchte, und fordert viel Zeit und einen konsequenten Willen.
Welchen Einfluss haben Mentoring, Role Models und Netzwerke?
Niss: Diese haben einen enorm großen, positiven Einfluss! Sichtbare Vorbilder wirken – sowohl beim Einstieg als auch beim Dranbleiben. Mentor:innen und Netzwerke stärken das Zugehörigkeitsgefühl, steigern die Ausdauer und verbessern Karrierechancen und auch für Erziehungsberechtigte ist es wichtig zu sehen, dass es hier positive Beispiel gibt. Genau da setzen wir an: Wir pilotieren gerade unser MINToring-Programm, das Mädchen mit Mentorinnen aus dem MINT-Bereich vernetzt. Ziel ist, Vorbilder nicht nur sichtbar, sondern auch greifbar zu machen. Was nicht unerwähnt bleiben soll, nicht nur weibliche Role Models haben Impact – auch männliche Bezugspersonen, insbesondere Väter, habe einen starken Einfluss auf das MINT-Selbstvertrauen der Mädchen.
Merkinger-Boira: Role Models, Netzwerke und Mentor:innen sind essentiell für eine Verbesserung der aktuellen Schieflage. Sie inspirieren, sind Vorbild, können durch ihre persönlichen Geschichten Anhaltspunkt sein und helfen aktiv mit, mehr Frauen in MINT-Berufe zu bringen. EBCONTs Frauen sind als Ambassadors daher in unterschiedlichen Formaten aktiv, um möglichst viele Frauen, die sich für MINT-Berufe interessieren, anzusprechen.
Wie bewerten Sie Karrierechancen und Gehaltsaussichten für Frauen in MINT?
Niss: Die Chancen sind ausgezeichnet. Österreich hat einen hohen Fachkräftebedarf, und Frauen machen immerhin 50 % des MINT-Potenzials aus – ein riesiges Reservoir, das wir viel besser nutzen können. Besonders zukunftsträchtig sind Berufe in den Bereichen Energiewende/Green Tech, Automatisierung und Mobilität. Und wir wissen: MINT-Qualifikationen sind in Österreich nicht nur sehr gefragt, sondern auch gut bezahlt! MINT-Abschlüsse (insbesondere mit Uni/FH, Master oder darüber hinaus) sind prinzipiell mit deutlich höheren Einstiegslöhnen verbunden als viele andere Bildungswege.
Merkinger-Boira: Meiner Einschätzung nach sind die Karrierechancen und Gehaltsaussichten für Frauen in MINT prinzipiell gut – wir sind aber noch lange nicht bei einer 100%igen Gleichberechtigung angelangt. Spannende Aufgaben ja, Karriere ja, aber dennoch gibt es Hürden: Seien es Gehaltsunterschiede oft durch schlechtere Verhandlungen oder Unterbrechungen im Lebenslauf aufgrund von Famlienplanung. Frauen-Netzwerke haben noch nicht den Stellenwert bzw. werden noch nicht in dem Maße genutzt, um die persönliche Karriere voranzutreiben. Wir bei EBCONT bieten auch Teilzeitmodelle an, es nehmen Kollegen das Papamonat oder gehen in Väterkarenz. Durch die Möglichkeit, je nach Kunde oder Projekt, remote zu arbeiten, wird auch die persönliche Flexibilität höher.
„Ausprobieren“ und „sich trauen“ – das geben die beiden Expertinnen allen jungen Frauen mit, die sich für MINT interessieren. „Geht in Talks von Role Models und zu Women- Veranstaltungen, zu Jobmessen oder bewerbt euch für ein Praktikum in einem MINT Unternehmen. Und denkt daran, dass auch Male Allies ganz wichtig für euer erfolgreiches Fortkommen sind“, rät Merkiner-Boira. „Praxis ist der beste Weg, um Vorurteile im eigenen Kopf abzubauen. Seid mutig, vertraut euren Fähigkeiten – und sucht euch Gleichgesinnte“, betont Niss. „Und das Wichtigste: Lasst euch nicht einreden, MINT sei nichts für euch – die Chancen waren nie besser.“