Zeitenwende: Strategische Fitness

02.06.2025 | Wirtschaft

Disruptive Zeiten erfordern neue strategische Taktiken. Die alten Wege führen heute nicht mehr zum Ziel – vielmehr wird „Agile Strategiekompetenz“ zum Erfolgsfaktor.

Gastkommentar von Karl Neumayer

Die aktuelle geopolitische Zeitenwende stellt für Unternehmen und Organisationen eine radikal neue Situation dar, geprägt durch geradezu singuläre Disruptionen. Der Ukrainekrieg kam für viele von uns überraschend und bringt dramatische Umbrüche. Und die aktuelle verstörend erratische Transformation der transatlantischen Beziehungen hatte in dieser Form wohl auch kaum jemand auf dem Radar. Ich jedenfalls nicht. Der Ausgang dieser tiefgreifenden Verschiebung der geopolitischen Plattentektonik ist derzeit noch ziemlich ungewiss.
Aber auch technologisch revolutionäre Entwicklungen, wie etwa KI, Robotik, etc. verändern gerade ganz radikal die Welt, dies teilweise sogar ziemlich unbemerkt im Schutze der Dunkelheit. So oder so, jetzt ist tatsächlich Zeitenwende.

Bisher stabil erscheinende strategische Parameter wurden quasi über Nacht obsolet. Dementsprechend werden auch bisher hochgepriesene Konzepte und Rezepte für Strategiearbeit und gute Führung abrupt auf die Probe gestellt. Und leider stoßen sie jetzt, in Zeiten wo echte Substanz gefragt ist, bisweilen an ihre Grenzen.
Diese Zeitenwende bringt viele Unternehmen und Organisationen in eine fatale Zwickmühle. Einerseits verursacht sie ein dramatisches Ausmaß an Unsicherheit in der strategischen Orientierung. Der strategische Horizont liegt in einem düsteren Nebel. Und zugleich schafft sie völlig neue Herausforderungen für Integration, Kommunikation und Teamkooperation entlang der gesamten Prozessketten. Bisher vertraute Routinen werden massiv infrage gestellt.

Welche besonderen Anforderungen stellt diese Zeitenwende also an strategische Unternehmensführung? Und welche bleibenden Konsequenzen werden daraus für die zukünftige Praxis erfolgreicher Unternehmensführung resultieren? Gerade die besten Strategen werden nach einem derartigen Tsunamigeschehen zunächst einmal bescheiden und nachdenklich schweigen. Für solche Ausnahmesituationen gibt es nämlich kein Patentrezept. Und naseweise Besserwisserei ist da sowieso absolut fehl am Platz.
Vielmehr geht es um die Frage, was in wirklich disruptiven Zeiten die tatsächlich entscheidenden Erfolgsfaktoren für Organisationen und Unternehmen sind. Eine erste kursorische Evaluierung aktueller Krisenstrategien zeigt nämlich durchaus beträchtliche Unterschiede in der strategischen Fitness von Unternehmen. In disruptiven Zeiten trennt sich eben die Spreu vom Weizen.
In fundamentalen Umbruchzeiten setzen sich besonders solche Unternehmen signifikant durch, die eine ganz bestimmte Art von strategischer Fitness aufweisen: Agile Strategiekompetenz wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Gute Strategiearbeit muss nämlich Qualität und zugleich Tempo schaffen.
Gute Strategiearbeit im Sinne „Agiler Strategiekompetenz“ beruht auf einem balanciert abgestimmten simultanen Ineinandergreifen dreier Kompetenzdimensionen: Problem-, Lösungs- und Handlungskompetenz.

Karl Neumayer (c) Joseph Krpelan

Mit Problemkompetenz meint man Folgendes: Wie gut und wie schnell kann die Dynamik der Situationsentwicklung erfasst werden? Mit welcher Intuition können die tatsächlichen Chancen und Bedrohungen erahnt werden? Und wie gut und wie schnell können in rascher Folge eine Mehrzahl von systematisch integrierten strategischen Gesamtszenarien skizziert werden? Wie angemessen kann daraus eine umfassende Problemlandschaft modelliert werden? Und wie können im relevanten Strategiehorizont entsprechende Handlungsprioritäten definiert werden?
Dazu lässt sich feststellen: Fundierte geopolitische und technologische Foresight-Expertise wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Ebenso wird ein systematisches Irritieren der gewohnten und komfortablen eigenen Echoblasen dringend angeraten sein. Auch die kompetente Zweitmeinung sollte kein Luxus mehr sein, sondern sollte systematisch in die eigene Strategiearbeit integriert werden.
Das Methodenangebot in der einschlägigen Strategieliteratur ist breit. Die Kunst liegt jedoch vor allem in der kritischen Reflexion bei ihrer Anwendung. Und ganz generell wird wohl auch etwas mehr epistemologische Demut sehr hilfreich sein.
Auch das Ungewohnte und Unerwartete muss gedacht werden dürfen. Wir brauchen, wie Musil in seinem Mann ohne Eigenschaften schreibt, nicht nur Wirklichkeitssinn, sondern auch mehr Möglichkeitssinn. Erweitern wir also unseren Vorstellungshorizont! Dann können wir uns besser vorstellen, was alles Wirklichkeit werden könnte.

In diesem Bereich stellen sich Fragen wie: Wie gut und wie schnell können passende und innovative Lösungsansätze entwickelt werden? Welche Rolle spielen politische oder innerorganisatorische Rücksichtnahmen, Befindlichkeiten und Scheuklappen? Weniger wäre in diesem Fall definitiv mehr. Mit welchem Urteilsvermögen und mit welcher Entscheidungskraft können die notwendigen Richtungsentscheidungen wie gut und wie rasch getroffen werden?
Die Beantwortung dieser Fragen braucht kompetente Führungspersönlichkeiten mit scharfsinnig kluger Umsicht, mit Courage und Rückgrat und mit loyalem Verantwortungsbewusstsein.

Wie gut und wie schnell können neue strategische Orientierungen in die Prozesslandschaft des Unternehmens übersetzt werden? Mit welcher Integrationskraft und Motivation können Loyalität und konsequente Ergebnisorientierung aller Leistungspartner befeuert werden? Wie ist insgesamt die Qualität des Führungssystems?
Genau darin sollten die Kernaufgaben einer wirkungsorientierten Führungsentwicklung liegen. Organisatorische Wellness darf natürlich auch weiterhin dabei sein. Der klare Fokus muss jedoch die Stärkung von Wettbewerbskraft sein.

Im realen Alltag von Unternehmen und Organisationen sind diese drei Dimensionen von Strategiekompetenz zumeist durchaus vorhanden, wenngleich naturgemäß sehr unterschiedlich ausgeprägt. „Wir haben schon eine Strategie, und jetzt müssen wir arbeiten!“ Das ist geradezu ein Stehsatz in vielen Unternehmensleitungen im Hinblick auf die eigene Strategiekompetenz. Und schon ist das Thema abgehakt.
Selbstgefällig unreflektierte Ritualpflege verstellt leider manchmal den Blick auf ernsthafte Strategiearbeit. Nicht immer wird nämlich verstanden, dass gerade das kontinuierliche Nachschärfen des interagierenden Zusammenspiels dieser drei Kompetenzdimensionen der eigentliche Schlüssel für überlegene Strategiearbeit ist.
Nicht das übliche sequenzielle Nebeneinander, sondern das interaktive Miteinander dieser Kompetenzdimensionen ist entscheidend. Profunde Reflexion, kritischer Diskurs und konfiguratives Denken sind hier gefragt. Traditionelle Planungsinstrumente und Routinen müssen zunehmend von innovativen Reflexionsprozessen begleitet werden. Genau das macht agile Strategiekompetenz aus. Genau das stärkt Wettbewerbskraft.

Die aktuelle Zeitenwende wird mit Sicherheit auch im strategischen Management so manches Kapitel neu schreiben. Ansätze und Gepflogenheiten, die in Schönwetterzeiten chic und modern erscheinen, werden in turbulenten Zeiten schleunigst kritisch überprüft werden müssen. Nachhaltige Wertorientierung wird insgesamt wieder wichtiger werden müssen.
Für die europäische Wirtschaft bringt das zwar enorme Herausforderungen, aber auch enorme Chancen. Jene Unternehmen, die bereits bisher profunde agile Strategiekompetenz aufgebaut haben, werden diesen Wettbewerbsfaktor gerade jetzt besonders gut ausspielen können. Unternehmen, die lernen können – und vor allem lernen wollen–, werden hier klar im Vorteil sein. Die Kunst dabei ist das balancierte Zusammenspiel von Problem-, Lösungs- und Handlungskompetenz. Viele hervorragende europäische Unternehmen, und oft genug sind das auch innovative europäische Mittelstandsunternehmen, sind dafür gute Beispiele.
Lernen kann man aber auch von hochinnovativen amerikanischen Leuchtturmunternehmen wie etwa Palantir, dessen CEO Alex Karp zweifellos zu den reflektiertesten technologischen Vordenkern unserer Zeit zählt. So geht Agile Strategiekompetenz. Transformative Wettbewerbskraft ist kein Zufall.

Karl Neumayer ist Geschäftsführer der KOGNOS Consulting GmbH. KOGNOS unterstützt Unternehmen in ihrer systematischen strategischen Optimierung. www.kognos.at

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