(c) Technisches Museum Wien/Ricardo Herrgott
Austria Innovativ: Das Technische Museum Wien ist ein Haus, mit dem viele besondere Erinnerungen verbinden – z.B. an Weihnachtstage in der Kindheit, Clubbings in der Jugend. Welche Herausforderungen gilt es für ein solches Museum auf dem Weg in die Zukunft zu meistern?
Peter Aufreiter: Gerade bei den Wiener:innen ist die Nostalgie hinsichtlich unseres Hauses groß, sie erinnern sich gerne an Besuche im Technischen Museum Wien und besonders beeindruckende Objekte wie z.B. die Eisenbahnen oder das Bergwerk. Das TMW ist ja nicht wie manch anderes Museum ein Science Center ohne Sammlung, im Gegenteil sind historische Objekte und Maschinen sein Herzstück. Diese Modelle aus der Geschichte sind optisch meist eindrucksvoller als zum Beispiel die Erklärung eines Quantencomputers.
Mit Themen wie der Langzeitarchivierung, dem Umgang mit Batterien in Geräten, Gefahrenstoffe bei alten Maschinen und Kunststoffen stehen wir heute vor komplexen Aufgaben. Es ist zu definieren, wie und wie langfristig wir Objekte ablegen, wie wir mit dem Datenschutz umgehen, ob wir etwas für Online-Präsentationen nutzen dürfen, etc. Pro Jahr sammeln wir um die 500 neue Objekte – und das sind nicht einmal zehn Prozent davon, was wir angeboten bekommen. In unsere Sammlungen fließen auch gesellschaftlich relevante Objekte wie Barbie-Puppen mit Prothesen ein – so verschmilzt Technikgeschichte mit gesellschaftlicher Relevanz.
Besonders im MINT-Arbeitsbereich ist Nachwuchs gesucht – welchen Beitrag kann ein Technik-Museum in dieser Hinsicht leisten?
Eine wichtige Aufgabe unseres Hauses sehen wir darin, die Gendergerechtigkeit zu fördern, indem wir dazu beitragen, junge Mädchen für technische Berufe zu begeistern. Wir wollen nicht nur historische Role Models zeigen, sondern den Bezug zur Gegenwart herstellen und vermitteln, dass gerade Mädchen über 21st Century Skills wie lösungsorientiertes, vernetztes Denken, Kommunikationsstärke, etc. verfügen. In diesem Bereich arbeiten wir intensiv mit Unternehmen sowie Schulen zusammen.
Jedes Jahr im Herbst organisieren wir die Talentetage, auf denen Lehrlinge mit potenziellen Arbeitgebern ins Gespräch kommen. So erfahren sie direkt aus erster Hand, wie Arbeitsabläufe und Berufschancen aussehen. Passend zu unseren Ausstellungen, wie etwa „Im Bann der Bahn. 200 Jahre Eisenbahn” in Kooperation mit den ÖBB und dem Verband der Eisenbahnindustrie, zeigen wir, welche Lehrberufe es im jeweiligen Bereich gibt. Das hilft Unternehmen dabei, ihre zukünftigen Arbeitskräfte zu gewinnen.
Ihre Zielgruppe setzt sich insbesondere aus jungen Menschen zusammen – welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für das in Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung so wichtige Thema der Wissenschaftskommunikation?
Wir haben etwa eine halbe Million Besucher:innen pro Jahr, davon sind 55 Prozent unter 19 Jahre alt. Das heißt, wir haben die Möglichkeit, auf hunderttausende Jugendliche positiv einzuwirken. Das hat besondere Bedeutung, weil Museen zu den letzten Bastionen der Glaubwürdigkeit gehören. Für die Menschen ist, was sie im Museum sehen, wahr. Nach dem Motto: Das steht im Museum, das muss stimmen – was auf der einen Seite eine große Verantwortung für uns ist, aber auch eine große Chance.
Wir nehmen immer eine neutrale Haltung ein, zeigen penibel recherchierte Fakten auf. Wir werten nicht, reagieren aber auf gesellschaftspolitische Herausforderungen und stellen vom Historischen ausgehend den aktuellen Bezug her. Unsere Glaubwürdigkeit bringen wir gerne ein, um österreichischen Unternehmen und Institutionen eine Plattform für Wissenschaftskommunikation zu bieten. So zeigen wir z.B. jedes Jahr seit der Covid-Pandemie eine Ausstellung über die Geschichte von Viren. Dieses Projekt setzen wir bewusst gemeinsam mit der Pharmig als Vertreterin der pharmazeutischen Industrie und nicht mit einzelnen Firmen um. Wir liefern in unseren Ausstellungen Antworten auf die Fragen: Warum? Wie funktioniert das? Das bedeutet viel Bewusstseinsbildung und Aufklärungsarbeit. Aber wir stellen keine Aussagen in den Raum wie „Impfung ist gut oder Impfung ist böse”, sondern wir geben rein Fakten weiter ohne zu werten.
Wie beziehen Sie Wissenschaft und Wirtschaft ein, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Institutionen konkret?
Wir sind immer auf der Suche nach Projekten, um der Jugend, aber auch allen anderen Menschen, Wissenschaft zu erklären. Aus unseren Einnahmen allein lässt sich die Erfüllung dieser Aufgabe nicht finanzieren, daher streben wir Kooperationen mit Partner:innen an. Infineon beispielsweise hat eine Station finanziert, an der Besucher:innen spielerisch die Entstehung eines Chips erklärt wird. Außerdem haben wir Objekte erhalten, die wir uns nie hätten leisten können. Kooperationen wie diese sind echte Win-Win-Situationen, die wir künftig ausweiten wollen. Immer mehr Institutionen kommen auf uns zu, weil sie die Entwicklungen und Ergebnisse ihrer Forschung, für die sie auch Förderungen erhalten, präsentieren wollen. Früher haben wir solche Kooperationen gelegentlich gemacht, heute entwickeln wir dafür eine eigene Schiene und bieten uns aktiv als Partner für Wissenschaftskommunikation an.
Im Grunde ist ja seit 110 Jahren alles, was wir machen, Wissenschaftskommunikation. Ein neuer Zugang ist, dass wir als staatliches technisches Museum der Wissenschaft, die in Österreich betrieben wird, eine Plattform geben. Denn gerade Forschungseinrichtungen haben in ihren Teams oft keine Mitarbeitenden, die Menschen Wissenschaft vermitteln. Wir aber ermöglichen es, Forschungsergebnisse unter die Leute zu bringen. Denn das ist unsere Stärke, das können wir: Wir können Wissenschaft und Technik einem Sechsjährigen, einem Jugendlichen und den Großeltern erklären, die mit dem Enkel herkommen. Das ist, denke ich, ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal des TMW.
Wenn ein Unternehmen Interesse an einer Kooperation mit dem TMW hat – wie geht es am besten vor?
Wir haben eine eigene Abteilung für Kooperationen geschaffen, nämlich „Ausstellungsmanagement und Science Communication”. Deren Mitarbeitende sind die Ansprechpartner:innen für Interessierte, die sich auch damit beschäftigen, ob und wie Inhalte aufbereitet werden können. Diese müssen visualisierbar sein. Wesentlich für Projekte ist auch, dass wir weiterhin unseren historischen Zugang beibehalten und unsere enorme Vielfalt von Objekten zeigen wollen. 93 Prozent davon lagern in Depots und werden in den jeweiligen Ausstellungen gezeigt.
Welche Forschungsschwerpunkte setzen Sie aktuell am TMW? Was ändert sich an Ihrer Arbeit durch das Einfließen von Software in die Sammlungen?
Software wird zunehmend Teil jeder Innovation. Wir stehen vor Fragen der Langzeitarchivierung, Rechteklärung und Präsentation. Wir können ja nicht in 50 Jahren einfach nur das Smartphone in die Vitrine stellen, um zu erklären, was der Unterschied zwischen einem iPhone 3 und einem iPhone 30 ist. Die Frage ist viel mehr, was tut sich darin? Was ist das Betriebssystem? Und wie hat sich das entwickelt? Wie hat uns das Gerät gesellschaftlich verändert? Wie sammle ich ein Handy? Wenn wir ein Auto „archivieren”, werden alle Flüssigkeiten abgelassen und die Batterie herausgenommen, damit das Auto über hunderte Jahre präsentabel ist. Aber bei einem Handy mit einem fix verbauten Akku ist das schwer möglich. Daraus ergibt sich, was aus Sicht des Denkmalschutzes interessant ist, die Sammlung auf Zeit. Das heißt: Ich sammle das Handy für zehn oder 20 Jahre und dann entferne ich es aus der Sammlung. Das sieht aber das Denkmalschutzgesetz im Moment nicht vor. Ob „Der Kuss” von Klimt oder ein Handy – da macht das Denkmalschutzgesetz keinen Unterschied. Wir haben daher ein Kustodiat für Software Archive and Collection gegründet, um sich intensiv mit diesen Themen zu befassen. Wesentlich ist für uns die historische Bewahrung der Technikentwicklung. Auch die Archivierung von Computerspielen ist für uns ein wichtiges Forschungsthema. Für die Zukunft planen wir ein Software-Lab mit Workshops zum Thema Softwarearchivierung.
Zur Person
Mag. Peter Aufreiter, Generaldirektor Technisches Museum Wien mit Österreichischer Mediathek, ist seit 1. Jänner 2020 Generaldirektor und Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Technischen Museums Wien mit Österreichischer Mediathek, wo er mit besonderem Fokus auf Nachhaltigkeit verstärkt Akzente auf zukunftsweisende Themen setzt.
Seine Museumskarriere begann der studierte Kunsthistoriker und Germanist im Sigmund-Freud-Museum Wien, bevor er im Ausstellungsmanagement des Kunsthistorischen Museums Wien tätig wurde. Von 2008 bis 2015 folgte eine Anstellung an der Österreichischen Galerie Belvedere, wo er zuletzt als Hauptabteilungsleiter neben den Ausstellungen auch mit Depotverwaltung, Leihgaben und der Artothek des Bundes betraut war. 2015 übernahm er die Leitung der Galleria Nazionale delle Marche in Urbino sowie des Polo Museale delle Marche.
Als Vorstandsmitglied von ICOM-Österreich und Mitglied des Kuratoriums des Deutschen Museums ist Peter Aufreiter auch in der internationalen Museumslandschaft aktiv und vertritt Österreich in der EZB-Fachjury für die Neugestaltung der Euro-Banknoten.