Forschung und Familie

19.02.2018 | Allgemein

Besprechungen am späten Nachmittag, Kongresse am Wochenende, Deadlines um Mitternacht. Die akademische Welt lässt Familienleben wenig Raum und so erstaunt es auch nicht, wenn traditionelle Rollenbilder des männlichen Forschers mit Familie im Hintergrund oder der kinderlosen Forscherin nach wie vor Realität sind.

Zwar implizieren die aktuellen Karrieremodelle die gezielte Förderung von Frauen in der Wissenschaft, vernachlässigen allerdings weitgehend den Aspekt der Kindererziehung – dies gilt übrigens sowohl für Mütter als auch für Väter. Talentierte Nachwuchsforscher_innen scheuen bereits den Einstieg in eine wissenschaftliche Laufbahn aufgrund des vorherrschenden Systems befristeter Dienstverhältnisse ohne mittel- oder langfristige Perspektive, das von vielen als verantwortungslos und unvereinbar mit einer Familiengründung angesehen wird. Abschreckend wirkt zudem der zunehmende Wissenschaftsaktionismus, gefördert durch den vermeintlichen Zwang zur Steigerung von Quantität, meist zulasten der Qualität. Die zahlreichen, häufig in die Abendstunden gelegten Veranstaltungen mit gesellschaftlichem Rahmenprogramm erfordern physische Anwesenheit, möchte man den Anschluss an die eigene Community nicht verlieren und keinem Informationsdefizit ausgesetzt sein. Auch lassen sich gerade jene für die Post-Doc-Phase propagierten Forschungsaufenthalte im Ausland mit Kindern nur schwer umsetzen, da ohne fehlendes soziales Umfeld eine adäquate Kinderaufsicht schlichtweg nicht finanzierbar ist. Während zu Hause beispielsweise Großeltern kurzfristig und kostengünstig Unterstützung bieten, müssen sämtliche Betreuungsleistungen andernorts zugekauft werden. Schulwechsel erweisen sich aufgrund wenig kompatibler Systeme als kaum realisierbar, auch möchten Eltern ihren Kindern den Verlust des Freundeskreises sowie lieb gewonnener Freizeitaktivitäten ersparen. Eine daraus resultierende Zerrissenheit zwischen Leidenschaft für die Wissenschaft und Fürsorge für die Familie prägt viele Karrieren, vor allem von Frauen in der Forschung.

 

Bedürfnisse der Betroffenen stärker berücksichtigen

Natürlich ist es eine gesellschaftspolitische Entscheidung, den Status Quo ändern zu wollen und Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine tatsächliche Vereinbarkeit von Forschung und Familie zu ermöglichen. In der öffentlichen Debatte wird das Thema zwar immer wieder gestreift, allerdings erschöpft es sich häufig in anerkennenden Kommentaren zu erfolgreichen Karrieren von Frauen mit Kindern in der Wissenschaft. Die weit höhere Anzahl jener, die gescheitert sind oder es vorrauschauend überhaupt nicht in Angriff genommen haben, aber auch das neue Vaterbild, dem eine aktive Rolle im Familienleben zukommt, erfahren dagegen nur wenig Aufmerksamkeit. Ganz anders stellt sich die Situation in den Forschungseinrichtungen selbst dar, wo die Aspekte Familiengründung und Vereinbarkeit bei Mentoring-Sitzungen und Karrieregesprächen mitunter beherrschende Themen gerade unter dem Nachwuchs sind. Viel zu wenig wird auf die Bedürfnisse der Betroffenen und ihre Vorschläge für Verbesserung der Situation eingegangen.

 

Genau aus diesem Grund wurde am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAW) ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt mit dem erklärten Ziel, die Eckpfeiler für ein familienfreundlicheres Umfeld zu definieren. Konkret wurde ein Cluster an Maßnahmen erarbeitet, worüber breiter Konsens sowohl unter den Wissenschafter_innen als auch dem technischen und administrativen Personal herrscht. Oberste Priorität kommt der Flexibilisierung von Arbeitszeit- und -ort zu, um auf alters- oder situationsbedingte Betreuungspflichten reagieren zu können. Vorgeschlagen wurde ein dem familiären Tagesablauf angepasstes Modell des verschränkten Arbeitens einerseits an der Forschungsstätte und andererseits Zuhause sowie die Möglichkeit, auf Öffnungszeiten von Kindebetreuungseinrichtungen oder beispielsweise krankheitsbedingte Pflege Rücksicht nehmen zu können.

 

Der Teilzeitfalle entgehen

Äußerst kritisch gesehen werden die Karrieremodelle, die auf aus Betreuungspflichten resultierenden Teilzeitbeschäftigungen keine Rücksicht nehmen. Gerade junge Mütter sehen sich deutlich im Nachteil und verzichten a priori auf eine wissenschaftliche Laufbahn, da sie sich den hohen Anforderungen nicht gewachsen fühlen. Andererseits wirkt die Teilzeitfalle, häufig verbunden mit einem Karriereknick, auch im akademischen Bereich sehr stark, wobei unmittelbare Auswirkungen bereits nach einigen Jahren spürbar werden, etwa durch die Nichtverlängerung von Dienstverträgen aufgrund von zu geringer wissenschaftlicher Publikationstätigkeit oder öffentlicher Präsentationen.

Diesem Umstand kann nur durch eine möglichst rasche und vollständige Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess entgegen gewirkt werden, die allerdings eine Rücksichtnahme des Arbeitsgebers auf die Lebensrealität von Familien voraussetzt. Dazu sollten auch Betriebskindergärten von Forschungseinrichtungen gehören, die neben hoher pädagogischer Qualität durch lange Öffnungszeiten und Mehrsprachigkeit  die Bedürfnisse ihrer Kunden abdecken. Neben der bereits angesprochenen Arbeitszeitflexibilisierung und den Home-Office-Möglichkeiten bedingt dies aber auch einen radikalen Kulturwandel im aktuellen Wissenschaftsbetrieb. Es ist keineswegs in Stein gemeißelt, dass Vorträge abends und Kongresse an Wochenenden stattfinden müssen oder Teambesprechungen in den Nachmittagsstunden angesetzt werden. Hier gilt es, Bewusstsein zu schaffen und in Form von Best-Practice-Modellen Richtlinien vorzugeben, auch um den Anschein einer permanenten Verfügbarkeit und eines unbegrenzten Zeitkontingents von Forscherinnen und Forschern entgegen zu wirken. Oftmals bedeutet weniger Präsenz vielleicht sogar mehr Substanz, auch darüber sollten wir nachdenken. Letztendlich brauchen wir auch eine Willkommenskultur, Kinder dürfen nicht als Störfaktor im akademischen Betrieb wahrgenommen, aber auch die Beschäftigung mit Kindern nicht als Hindernis für die Karriereentwicklung hingenommen werden.

 

Umdenkprozess einleiten

Forschung und Familie sind keinesfalls sich ausschließende Lebenskonzepte, ihre Vereinbarkeit erfordert auf allen Seiten Einsicht, Rücksichtnahme, aber auch Disziplin. Meine eigenen Erfahrungen haben mich bei meinem Engagement für ein familienfreundliches Forschungsumfeld sicherlich geprägt. Vieles lässt sich allerdings nicht auf institutioneller Ebene lösen, die großen Weichenstellungen müssen von Seiten der Politik vorgenommen werden. Niemand hindert uns jedoch daran, das Wort zu ergreifen, die Dinge beim Namen zu nennen und auf diese Weise vielleicht einen Umdenkprozess einzuleiten.

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