Interview

„Es gibt keine Grenzen, die uns schützen“

Foto:Rigaud
Wolfgang Knoll und Anton Plimon (r.) führen das AIT Austrian Institute of Technology in eine erfolgreiche Zukunft, wie auch die sehr guten Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2018 eindrücklich zeigen.
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Die globale Wirtschaft befindet sich einem Transformationsprozess. Digitalisierung, Dekarbonisierung, intelligente Produktions- und Assistenzsysteme – in allen diesen teils disruptiven Themenfeldern agiert das AIT Austrian Institute of Technology als innovativer und strategischer Partner für Unternehmen, die auf den Märkten der Zukunft erfolgreich agieren wollen, betonen die AIT Managing Directors Anton Plimon und Wolfgang Knoll (l.).

von: Harald Hornacek

Das AIT Austrian Institute of Technology führt in seiner Markenindentität den Claim „Tomorrow Today“. Was steckt dahinter? Wer profitiert von dieser Positionierung?

ANTON PLIMON: Wir befinden uns in einem beinharten globalen Wettbewerb. Hier gibt es keine Grenzen, die uns schützen. Neue Eco-Systeme und Wertschöpfungsketten entstehen, die Dynamik ist riesengroß, die Geschwindigkeit rasant. Wir müssen jetzt die richtigen Antworten geben und jene Weichen stellen, die uns in eine sichere Wettbewerbssituation bringen. Und hier sind wir als Österreichs größte Research and Technology Organisation der starke Forschungspartner für die Industrie und die öffentliche Hand. Wer die falschen Antworten hat oder zu spät ist, verliert. 
Denn wir sehen heute gravierende und vor allem rasche Veränderungen in Industrie, Gesellschaft und Politik. Die Digitalisierung stellt uns bei allen Chancen, die sie bietet, vor neue Herausforderungen, für die wir noch entsprechende Antworten benötigen. Ebenso das Ziel der Dekarbonisierung – die Abkehr von der Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger –, die weitreichende Veränderungen in unserem way-of-life mit sich bringen wird. Österreich als verhältnismäßig kleines, aber wohlhabendes Land muss sich in diesem Umfeld mit seinen Stärken positionieren. 
Und der Erfolg eines Industriestandorts sowie die Lebensqualität seiner Bürgerinnen und Bürger hängen in hohem Maße von einer effizienten und leistungsstarken Infrastruktur ab. 
Die genannten systemischen Veränderungen erfordern neue Technologielösungen und eröffnen gleichzeitig innovativen Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten neue Geschäftschancen. 

WOLFGANG KNOLL: Vor diesem Hintergrund ermöglicht das AIT die Realisierung innovativer Infrastrukturlösungen und bietet schon heute die Technologien, Methoden und Tools für die Infrastruktur von morgen. Viele Technologien für die erfolgreiche Digitalisierung der nächsten Generation der industriellen Produktion sind in unterschiedlichen Bereichen ausgereift bzw. marktfähig. Nun gilt es, die direkten und langfristigen Vorteile, die aus der Digitalisierung für Unternehmen entstehen, zu realisieren. Das heißt auch, neue Werte für Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Denken wir an die vernetzte Industrie von morgen: Sie produziert nicht einfach Güter, sie sorgt auch dafür, dass diese Produkte auch nach dem Kauf durch einen Konsumenten weiterhin in Datenkontakt mit dem Produzenten bleiben. 

Welche Themen bewegen Wirtschaft und Gesellschaft aus Ihrer Sicht derzeit besonders – und wie positioniert sich hier das AIT?

AP: Es sind die großen Themen, mit denen die Menschen konfrontiert sind. Am AIT fokussieren wir uns auf die Infrastrukturthemen, die uns vor gewaltige Herausforderungen stellen und disruptive Technologien erfordern. Hier geht es um neue Entwicklungen in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Big Data, Industrial Data, Cyber Security, Robotics, Mikro/Nano-Elektronik, Industrie 4.0, 5G oder Machine Learning. Es geht um die dringend erforderliche Dekarbonisierung von Verkehr, Logistik oder Energie. Es geht um soziale und gesellschaftspolitische Fragen, die Wohnen, Urbanisierung und die Anforderungen an die entsprechenden Infrastrukturen von morgen betreffen. Antworten auf diese Entwicklungen und die damit verbundenen Fragen müssen mit und für die öffentliche Hand und Industrie gegeben werden. Dabei nimmt das AIT eine enorm wichtige Rolle ein. Denken wir an das ständig steigende Datenvolumen: Wer aus Daten nicht nutzbare Informationen macht, wird im Wettbewerb den Anschluss verlieren. Aber wer seine Daten nicht schützen kann, kann auch sein Geschäft nicht schützen. Am AIT entwickeln wir beispielsweise für den Energiesektor Smart Grids, die dazu beitragen, die unterschiedlichen Produktionskapazitäten der Erneuerbaren Energien besser abzufedern und Überschuss-Energien dorthin zu verteilen, wo sie gerade benötigt werden. Das Ziel ist ein integriertes Energiesystem.

WK: Wir sehen, dass Branchengrenzen immer mehr verschwinden. Beispiel: Klassischer Maschinenbau trifft auf innovative IT – und erzeugt völlig neue Geschäftsmodelle. Maschinelles Lernen eröffnet neue Perspektiven in Steigerung von Effizienz und Ertrag in der Produktion bis hin zur Entwicklung von ganz neuen Fertigungskonzepten. Software-Entwicklungen treiben diese Fortschritte rasant voran. Wir sehen enorme Fortschritte in der Sensorik. So entstehen neue Anwendungsfälle, beispielsweise die Vermeidung von Ausfällen durch Predictive Maintenance. Hochsensible und intelligente Sensoren wissen, wann Wartungen fällig oder Bauteile am Ende ihres Lebenszyklus sind. Arbeiten können somit zeit- und produktionsoptimiert vorgenommen werden. Solche Themen beschäftigen Industrieunternehmen und 
damit auch das AIT. Innovationen müssen nachhaltig sein und stellen immer den Menschen in den Mittelpunkt. Jede Dienstleistung, jedes Produkt konzentriert sich auf den Menschen. Die Unmengen von Daten erlauben es, Produkte zu individualisieren, Medizin zu personalisieren. Und es entstehen völlig neue Zusammenarbeitsformen von Mensch und Maschine, von Technologie und Kreativität, die auch ganz neue und maßgeschneiderte Qualifizierungsmaßnahmen erfordern. Facharbeiter werden zu Experten für den Umgang mit Virtual oder Augmented Reality – etwa durch die Verwendung von Datenbrillen oder für den intensiven Umgang mit Tablet oder Smartphone als zentrale Steuereinheit in der Produktion. 

WK: Daneben wird auch die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz zunehmen. KI wird Roboter besser, leistungs–fähiger und flexibler machen. Roboter werden Entscheidungen treffen können und dazu beitragen, dass wir sicherer leben können, etwa im Straßenverkehr. Sie werden im Haushalt zu wertvollen Helfern, die auch Sprachbefehle entgegennehmen. Auch in der medizinischen Diagnostik, in der Früherkennung von Krankheiten, werden Roboter wertvolle Dienste leisten. Die Mobilität verändert sich, selbstfahrende Fahrzeuge bzw. fahrerlose Transportfahrzeuge sind dafür Beispiele, aber auch Roboter, die autonome Aufgaben etwa in der Lagerlogistik oder im Bestellwesen übernehmen. Die Folge wird eine ganz neue, enorme Flexibilität in der Fertigung sein. Und doch steht über allem der Nutzen für den Menschen – das darf man nicht vergessen. 

Das BMVIT ist Mehrheitseigentümer des AIT. Beeinflusst dies die Forschungsaktivitäten des AIT?

AP: Zukunftsorientierte Forschungs- und Technologiepolitik ist ein maßgeblicher Faktor für unseren künftigen Wirtschaftsstandort. Das BMVIT schafft den Rahmen für Österreichs Infrastruktur von der Schiene bis zur Straße, im Wasser und in der Luft bis hin zur Telekommunikation und Technologieentwicklung. Das AIT ist auf diesem Weg ein wichtiger und wertvoller Player, der in der Liga der europäischen RTOs ganz vorne mitspielt. Mit unseren Fokusthemen in den Bereichen Digitalisierung, Dekarbonisierung, Sicherheit, E-Health oder Mobilität sind wir ein bedeutender Wegbereiter für die Zukunft und zugleich Partner des BMVIT bei der Entwicklung neuer Lösungen in zentralen Infrastrukturthemen. Dies trägt in weiterer Folge zur internationalen Kommerzialisierung von Innovationen aus Österreich bei. Somit nimmt das AIT in der positiven Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreich eine wichtige Rolle ein. 

WK: Man muss sich bewusst sein, dass die wichtigste Hintergrundbasis für alle neuen Entwicklungen – neben der rein technologischen Seite – die Infrastruktur eines Landes ist. Sie stellt den Lebensnerv einer Gesellschaft dar und ist das Rückgrat für Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Wohlfahrt. Denn intelligente Lösungen erfordern schnelle und sichere Netzinfrastrukturen, gleich ob in der Telekommunikation oder in der Energiewirtschaft. Daher forschen die Expertinnen und Experten am AIT interdisziplinär und sehr anwendungsorientiert an den Infrastruktur-Themen der Zukunft. Wir sehen unsere Aufgabe darin, nicht nur die industrielle Basis unseres Landes in Zeiten von Indus–
trie 4.0 zu stärken, sondern erfüllen auch einen Auftrag als starker Ingenious Partner des BMVIT und der Industrie.

Inwieweit profitiert die Industrie, der zweite Eigentümer des AIT, von Ihren Forschungsleistungen? 

AP: Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, muss Europa auf seine Stärken setzen, Schlüsseltechnologien weiter ausbauen und den Fokus auf große strategische Themenfelder legen. Nur so können wir uns nachhaltig unter den globalen F&E-Vorreitern platzieren. Als AIT kommt uns hierbei eine wesentliche Rolle zu. Wir unterstützen die österreichischen Industriebetriebe in der digitalen Transformation und sind mit unserer Auftragsforschung sehr nahe an den speziellen Unternehmens- und Marktbedürfnissen der Zukunft. Die österreichische Industrie findet im AIT einen Systempartner, der ihre Anliegen und Heraus–
forderungen auf Augenhöhe versteht und gemeinsam mit den Betrieben innovative Ansätze, Produkte und Serviceleistungen entwickelt. Damit legen wir auch eine wichtige Basis zur Stärkung unserer Exportbetriebe. Denn als 
exportorientiertes Industrieland muss Österreich auf Innovation setzen. Nur so können die heimischen Unternehmen im ständig intensiver werdenden internationalen Wett–
bewerb erfolgreich sein. Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, sich auf das Tagesgeschäft und die kurzfristige Zukunft zu konzentrieren, während die kompetentesten Köpfe Europas an den Tools und Technologien von morgen arbeiten, um die Lösungen von übermorgen realisieren zu können. Das bedingt beste Kenntnisse über den aktuellen Forschungsstand und die Branchenbedürfnisse. Zugute kommt unseren Kunden dabei die tiefe Expertise, über die unsere Teams verfügen. 

Welche Rolle spielt das AIT heute im europäischen Forschungs- und Innovationssystem?

AP: Seit seinem Start im Jahr 2009 war es Ziel des AIT, sich von einem regionalen Akteur zu einem Spieler von europäischem Format zu entwickeln. Anhand der Kennzahlen für das Jahr 2018 kann die Erreichung dieses Zieles leicht nachvollzogen werden. Die wirtschaftlichen Kennzahlen entwickelten sich 2018, welches man als Ausnahmejahr sehen muss, ausgezeichnet: Alle Ziele wurden erreicht, insbesondere in der Auftragsforschung ist eine Steigerung von 45,43 Millionen Euro auf 52,13 Millionen Euro gelungen – ein Plus von 14,7 Prozent. Auch unsere Position in Europa 
konnte gestärkt werden: Die Europäische Kommission veröffentlicht für das laufende Forschungsrahmenprogramm die entsprechenden Kennzahlen auf ihrer Website, die Zahlen  beziehen sich auf die jeweilige legal Entity. Das AIT ist nun mehr mit 62,8 Millionen Euro per April 2019 eingeworbenen Mitteln mit der TU Wien und der Universität Wien unter den TOP 3 im österreichischen Ranking. Berücksichtigt man auch jene Teile des AIT, welche als Tochtergesellschaften geführt werden, so legt das AIT sogar einen Wert an 
eingeworbenen Mitteln in Höhe von 66,5 Millionen Euro vor. 

WK: Persönlich freut mich der ganz besondere wissenschaftliche Erfolg eines jungen Forschers am AIT sehr: Bernhard Schrenk adressiert mit dem Gewinn eines ERC Starting Grant mit seiner Arbeit auf dem Gebiet „coherent homodyne communication“ nicht nur ein strategisch wichtiges und top aktuelles Zukunftsfeld im Bereich der optischen Kommunikation. Er definiert damit zugleich auch die wissenschaftliche Flughöhe, auf der wir uns künftig bewegen wollen.

Hinweis: Das vollständige Interview lesen Sie im AIT PROFILE 2019/2020

 


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