Die Historie ist ein weites Feld – warum haben Sie gerade dazu entschieden, Ihre Arbeit auf Kriegsfolgenforschung zu fokussieren?
Ich habe ursprünglich Slawistik und Anglistik studiert und im Zuge einer Forschungsreise 1993 am Flughafen Wolgograd einen Professor von der Grazer Universität getroffen, der Zugang zu den russischen Archiven hatte. Mich hat das fasziniert. Daher habe ich kurz danach meine Arbeiten zu österreichischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion aufgenommen. Ich war von der Gründung des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung an dabei und bin durch die Zusammenarbeit mit dem langjährigen Leiter Prof. Stefan Karner immer tiefer in die zeithistorische Forschung gelangt. Meine Diplomarbeit beschäftigte sich dann mit dem Thema USA und russische Kriegsgefangene.
Wie wurden Ihre Arbeiten aufgenommen? Gab es politische Widerstände?
Erfreulicherweise nicht. Mir war und ist es aber auch immer sehr wichtig, von Schwarz-Weiß-Formatierung wegzukommen, nicht einsilbig zu denken – etwa zur Besatzungszeit in Österreich. Mein Ansatz und jener meiner Forschungspartner*innen ist es, möglichst neutral und vor allem auf wissenschaftlichem Niveau zu arbeiten – man bietet damit auch nicht kaum Angriffsflächen. Große Forschungsprojekte, wie wir sie durchführen, sind bi- oder multilaterale Vorhaben. So unterstützen wir uns im Rahmen der Österreich-Russischen Historikerkommission in der Erforschung gemeinsamer Themen der Geschichte gegenseitig und sehr offen.
Sie haben mit Ihren Arbeiten wissenschaftliches Neuland betreten. Wie war die Resonanz?
Ich habe sicherlich Pionierarbeit geleistet, beispielsweise mit meiner Arbeit zum Stalag XVII B. Ich ein Doktoratsstipendium der ÖAW und konnte dies nutzen, meine Arbeiten zu erweitern und zu vertiefen. So war es mir erstmals möglich, den Alltag der Roten Armee in Österreich von 1944-1945 zu analysieren. Ich hatte Zugang zu sowjetischen Dokumenten. Die österreichische Seite war gut aufgearbeitet, die russische nicht. Wichtig ist mir immer, möglichst nicht plakativ zu sein, sondern auf breiter Quellenbasis ein vielschichtiges Bild zu zeichnen.
Wie gehen Sie damit um, dass Sie menschliche Schicksale nachzeichnen? Wie löst man sich emotional davon?
Der Aspekt der möglichst großen Entemotionalisierung ist tatsächlich wichtig. Wenn man mit seiner Arbeit etwas bewirken möchte, benötigt man gesellschaftspolitische Relevanz. Denken wir an das Beispiel des Lagers Liebenau Graz: Aus der Diskussion um das Murkraftwerk erhielt das Thema eine gesellschaftspolitische Relevanz. Es zeigt sich, dass dies ein Teil des kollektiven Gedächtnisses in Graz und darüber hinaus ist. Das interessiert auch immer mehr junge Leute, die weit entfernt von dieser Zeit aufwuchsen.
Wie kommt man eigentlich darauf, die Strukturen eines Lagers auf einen aktuellen Grazer Stadtplan zu projizieren?
Unser Institut trägt seinen Namen aus einem Grund, der oft übersehen wird: Kriege hören nicht auf, wenn die Waffen schweigen. Sie haben sichtbare und unsichtbare Folgen – sie sind und bleiben eingeschrieben in Landschaften und Biografien. Sie sind vorhanden, auch Jahrzehnte später. Dies sichtbar zu machen, erleichtert auch den Umgang damit. Einfach gesagt, habe ich Bilder von Google mit damaligen Luftaufnahmen der Amerikaner vergleichen und erstaunliche Ähnlichkeiten gesehen. Als die Grasnabe weg war, kamen die alten Strukturen zum Vorschein. Daraus entstanden zivilgesellschaftliche Aktivitäten und der Wunsch, mehr darüber zu erfahren. Wir haben einen Stein ins Rollen gebracht. Daran zeigt sich, dass bottom-up sehr viel bewirkt werden kann.
Sie sind eine der wenigen Forscherinnen weltweit, die sich mit der Kriegsfolgen-Forschung beschäftigen. Spielen Sie in Ihrer eigenen Liga?
Unser Zugang zur Kriegsfolgenforschung ist tatsächlich einzigartig, vor allem dank unserer inhaltlichen und zeitlichen Breite. Wir fokussieren uns auf das 20. Jahrhundert, auf beide Weltkriege, die Zwischenkriegszeit oder den Kalten Krieg und haben dazu Spezialforschungsthemen. Ich sehe uns hier in der obersten Liga weltweit. Aus den Spezialforschungsthemen wie Kinder des Kriegs oder auch Lebensformen im und nach dem Krieg werden sich noch sehr spannende Projekte entwickeln. Das Thema hat keine zeitliche Limitation: Gegenwärtig interessieren uns etwa die Kinder von UNO-Soldaten bei aktuellen Einsätzen. Das wird für angehende Historiker*innen noch viel Raum bieten. Hier ist der Austausch der LBG mit Universitäten ein sehr wichtiger Beitrag.
Welche Projekte sind Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Ein Bereich, wo ich etwas bewirken konnte, ist das Thema Besatzungskinder. Meine Arbeiten haben dazu beigetragen, dass daraus ein Begriff entstanden ist, eine Wahrnehmung. Früher wurde darüber kaum gesprochen. Jetzt gibt es eine Vernetzung von Betroffenen, auch eine Enttabuisierung. Sehr spannende Aspekte haben sich auch aus meiner Arbeit im russischen Archiv-Bestand ergeben: So wurden russische Zwangsarbeiter im 3. Reich zwar ermutigt, wieder in die Sowjetunion zurückzukehren – doch dann wurden sie von der Regierung Stalin als Vaterlandsverräter geächtet. Hier wurde Propaganda betrieben, um Menschen gezielt mit falschen Versprechungen in ihr Heimatland zurückzuholen, wo sie dann ein Dasein als Menschen zweiter Klasse fristen mussten. Hier zeigt sich der lange Atem der Kriegsfolgen: Bis zur Perestroika reichte dieser Zugang in der Gesellschaft. Viele Menschen wurden so Opfer von zwei Diktaturen – der deutschen und der russischen.
Was ist Ihnen als Forscherin wichtig? Welche Rahmenbedingungen braucht es?
Mir ist wichtig, dass für die geisteswissenschaftliche Forschung eine langfristige und mit entsprechenden Mitteln dotierte Förderung gegeben ist. Einerseits wegen des gesellschaftlichen Nutzens, den wir erzielen können. Andererseits auch, um in unseren Forschungen eine gewisse Planbarkeit zu haben. Wir arbeiten in Teams, die sich aus Spezialist*innen in ihren Bereichen zusammensetzen. Hier ist ein langfristiger Zusammenhalt wichtig, um entsprechende Ergebnisse zu produzieren. Drittmittel sind wichtig, gerade für die LBG, aber wir benötigen auch eine solide und planbare Grundsubvention, um auch etwaige Durststrecken durchtauchen zu können. Diese Basis ist wichtig, damit wir uns auf die Forschung konzentrieren können.