Wissenschaft

Michael Ludwig: "Forschungsstandort Wien stärken!"

Bohmann
Michael Ludwig: „Ich möchte mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft ein Digiboard schaffen, um das vorhandene Know-how zu bündeln und Wien zur Hauptstadt der Digitalisierung zu machen.“
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Wie kann und soll sich der Forschungsstandort Wien künftig weiterentwickeln? Der designierte Bürgermeister Dr. Michael Ludwig hat dazu sehr konkrete Vorstellungen. Im Interview mit AUSTRIA INNOVATIV skizziert er seine weiteren Pläne.

von: Harald Hornacek

Wien ist eine der liebenswertesten Städte der Welt. Sie ist zugleich eine Stadt der Forschung: Mehr als 1.400 Forschungsstätten befinden sich in Wien. Was möchten Sie unternehmen, um diese Position Wiens künftig noch zu stärken?

Michael Ludwig: Bürgermeister Michael Häupls Leistungen, Wien zum Wissenschaftsstandort zu machen, waren hervorragend. Das zeigt sich auch daran, dass sich in den letzten Jahren verstärkt namhafte Unternehmen aus Mittel- und Osteuropa in Wien angesiedelt oder ihren Standort bei uns maßgeblich erweitert haben. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Boehringer Ingelheim, das gerade 700 Millionen Euro in den Bau einer neuen biopharmazeutischen Anlage für Wirkstoffe, die mit Hilfe von Zellkulturen hergestellt werden, investiert. Das Pharmaunternehmen baut damit seinen Standort im 12. Wiener Gemeindebezirk mit weiteren 500 Arbeitsplätzen aus. Wien ist bereits das Zentrum der Krebsforschung, in den letzten Jahren sind junge Diszipline wie die Genomik und Bioinformatik dazugekommen.

Zu den Vorteilen Wiens zählen Faktoren wie eine zentrale Lage innerhalb Europas, eine hohe Rechtssicherheit, rasche Verwaltungsabläufe, ein sehr gutes Ausbildungsniveau und nicht zuletzt die ausgezeichnete Lebensqualität und der soziale Frieden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben – speziell auch in den Bereichen Forschung und Innovation – muss diese Standortattraktivität kontinuierlich ausgebaut werden. Mit Investitionen in die Infrastruktur, in umweltfreundliche und effiziente Mobilität, in den 5G- und Glasfasernetzausbau, aber auch in Konditionen, die Wien für kleinere innovative Start-ups besonders attraktiv machen. Ich habe vor, gemeinsam mit IT-und Kommunikationsunternehmen quer durch die Wirtschaft innovative Projekte anzugehen. Einen Schwerpunkt wird die Digitalisierung bilden. Ich möchte beispielsweise mit Partnern aus Industrie und Wirtschaft ein Digiboard schaffen, um das vorhandene Know-how zu bündeln und Wien zur Hauptstadt der Digitalisierung zu machen.

Mit einer Forschungsquote von mehr als 3,50 Prozent des Bruttoregionalprodukts übertrifft Wien die Ziele der EU, die auf drei Prozent abzielen. Wie kann die Stadtverwaltung dazu beitragen, die Forschungsquote weiter zu erhöhen? Welche Anreize kann sie bieten?

ML: Wichtige Anreize können etwa durch die maßgebliche Beteiligung an internationalen Forschungsprojekten geschaffen werden. Ein Beispiel dafür: Beim Smart City-Projekt „Smarter Together“ ist es uns im Wettbewerb mit anderen Städten gelungen, Fördermittel aus dem EU-Forschungsprogramm „Horizon 2020“ nach Wien zu holen, die ein Vielfaches an Investitionen in der Stadt – vor allem in innovative Entwicklungen – auslösen. Dahinter steht eine Stadtverwaltung, die gezielt Innovationen forciert und die Abteilungen mit Expertinnen und Experten betreibt, die sich mit großem Engagement der Forschung widmen.

Ich möchte zudem verstärkt Brücken zwischen Forschung und Wirtschaft schlagen. Denn auf der einen Seite verfügt Wien in vielen Bereichen über eine ausgezeichnete Grundlagenforschung, auf der anderen über bedeutsame forschungs- und technologieintensive Unternehmen. Was jedoch optimiert werden muss, ist die Vernetzung zwischen Forschung und Wirtschaft. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss es gelingen, längere Wertschöpfungsketten zu erzeugen, von der Forschung über die Innovation bis hin zum konkreten Produkt. Auch gezielte Förderungen seitens der Stadt und des Bundes sind wichtig, um Spitzenforschungseinrichtungen zu unterstützen.

Mit einem Anteil von rund 5 Prozent der Beschäftigten in Forschung und Entwicklung liegt Wien an 3. Stelle unter allen Regionen der EU. Wie wollen Sie künftig jungen Forscherinnen und Forschern mehr Möglichkeiten eröffnen, in Wien tätig zu werden?

ML: Wien ist international ein sehr gefragter universitärer Ausbildungsort. Denn bei uns stimmt nicht nur die Qualität des Studiums, sondern die künftigen Wissenschafterinnen und Wissenschafter können sich im sozial geprägten Wien die Ausbildung auch noch leisten. Nach wie vor gehen aber viele nach dem Studium wieder ins Ausland. Ich möchte die Besten von ihnen durch spannende und gut dotierte Jobs künftig noch mehr an unsere Stadt binden. Das wird gelingen, wenn wir die bereits genannten Punkte umsetzen. 

Und wie möchten Sie auf der anderen Seite mehr etablierte Forscherinnen und Forscher nach Wien bringen?

ML: Wir haben in Wien exzellente Forscherinnen und Forscher, einige der wichtigsten internationalen Forschungspreise gingen in den vergangenen Jahren nach Wien. Darauf gilt es im Sinne einer noch attraktiveren Forschungslandschaft aufzubauen. Darüber hinaus muss auch der Bund mehr Mittel für die Forschung in die Hand nehmen und in die Zukunft unseres Landes investieren.

Mit dem Abgang von Josef Penninger verliert der F&E-Standort Wien sicherlich eine bedeutende Persönlichkeit. Sie haben ja sofort nach Bekanntgabe Penningers, nach Kanada zu wechseln, gemeint, Sie möchten auch gerne künftig auf seine Kompetenz in Wien zählen. Können Sie dazu schon Genaueres sagen? Wie könnte sich Josef Penninger einbringen?

ML: Natürlich wird es auch davon abhängen, wie sehr Josef Penninger von seinen neuen Aufgaben unter Beschlag genommen wird. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass er seine Kompetenz generell in die Gestaltung Wiens als Forschungsstandort der Zukunft einbringt.

Fast 200.000 junge Menschen studieren heute in Wien – ein Spitzenwert im europäischen Vergleich. Sie selbst haben auch in Wien studiert. Was hat für Sie den Reiz ausgemacht, gerade hier zu studieren?

ML: Ich bin ein Arbeiterkind, meine Mutter war Fabrikarbeiterin und Alleinerzieherin. Dass ich studieren konnte, war also keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis sozialdemokratischer Bildungspolitik. Natürlich hat der gute Ruf Wiens als Universitätsstadt eine Rolle für mich gespielt. Nicht zuletzt: Ich war schon in meiner Jugend ein begeisterter Wiener und dementsprechend glücklich, in meiner Heimatstadt studieren zu können.

Wenn Sie auf Ihre Studierendenzeit zurückblicken – was ist Ihnen besonders positiv in Erinnerung geblieben?

ML: Das gute Miteinander unter uns Studierenden und das politische Engagement für eine sozial gerechtere Welt, das uns verbunden hat. Und ich habe leidenschaftlich gerne Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Viele Erfahrungen habe ich in meine ehrenamtlichen Funktionen in der Erwachsenenbildung mitgenommen.

Eine Stadt wie Wien ist mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert. Eine der größten davon ist sicherlich die demografische Entwicklung. Wir werden immer älter, das bedeutet auch Herausforderungen für Stadtverwaltungen. Worin liegen hier die größten Aufgaben für Wien? Und inwieweit können Forschung und Entwicklung dazu beitragen, das Älterwerden in Wien zu erleichtern?

ML: Eine wesentliche Aufgabe ist es sicherlich, unseren Seniorinnen und Senioren möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den vertrauten eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Das entspricht auch dem Wunsch älterer Menschen. Ich habe daher einen Schwerpunkt in diesem Bereich gesetzt. Die Stadt fördert verstärkt unterschiedliche und leistbare Wohnformen für die ältere Generation – von der SeniorInnengerechten Wohnung, über betreutes Wohnen bis zur modernen WG. Im Wohnungsbestand, etwa in Gründerzeithäusern, bietet Wien finanzielle Unterstützung für Umbauten zu einer verbesserten Barrierefreiheit. Eine gute Infrastruktur im unmittelbaren Wohnumfeld ist speziell für betagte Menschen sehr wichtig. Auch hier habe ich Initiativen gesetzt, so beispielsweise für mehr medizinische Einrichtungen und vor allem Hausärztinnen und Hausärzte in den rund 2.000 Wiener Gemeindebauten.

Forschung und Entwicklung können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Seniorinnen und Senioren den Alltag zu erleichtern und deren Sicherheit zu erhöhen, ganz besonders im Wohnbereich. Denn die klassische Kernfamilie gibt es immer weniger. Die Zahl der Single-Haushalte nimmt in Wien – übrigens auch bei der jüngeren Generation – kontinuierlich zu und macht schon fast die Hälfte aus. Die entscheidende Herausforderung einer Smart City, wie wir sie in Wien verstehen – nämlich als moderne soziale Stadt – ist es, möglichst alle in der Bevölkerung am Fortschritt teilhaben zu lassen. Die Digitalisierung bietet große Chancen, aber auch die Gefahr einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn nämlich nur jene in den Genuss technologischen Fortschritts kommen, die es sich finanziell leisten können. Das betrifft natürlich auch die ältere Generation.

Ein weiteres großes Thema ist die Bildung. Hier ergeben sich – nicht nur, aber auch – durch verstärkte Zuwanderung mitunter Probleme in den Schulen. Welche Aktivitäten kann bzw. muss eine Stadt hier setzen?

ML: Chancengleichheit ist für mich einer der wichtigsten Grundsätze im Bildungsbereich und das beginnt schon im Kindergarten, der eine unverzichtbare vorschulische Einrichtung darstellt. Ich stehe daher zum verpflichtenden letzten Kindergartenjahr, könnte mir aber auch ein zweites verpflichtendes Jahr vorstellen und eine Modellregion Wien für die ganztägige Volksschule.

Die ganztägige Betreuung muss allen Eltern zur Verfügung stehen. Gerade Kinder, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, würden von ganztägiger Betreuung unabhängig einer Berufstätigkeit der Eltern immens profitieren. Eine sozial gestaffelte Kostenbeteiligungist dabei für mich aber sowohl beim Kindergarten als auch bei der Ganztagsschule kein Tabu.

Die Stadt muss aber auch weiter im Bereich der Berufsbildung ansetzen, speziell bei Minderqualifizierten ohne Schul- und Lehrabschluss. Hier geht es vor allem darum, die Nutzungsmöglichkeiten zu verbessern. Die Digitalisierung bietet die Chance, sich auch zeitlich und örtlich unabhängig neues Wissen anzueignen – so etwa durch eine Vielzahl an leistbaren Online-Bildungsangeboten.

Der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds ist eine privat-gemeinnützige Förderorganisation für Wissenschaft und Forschung in Wien. Die Förderinstrumente und Vergabeverfahren des Fonds sind auf die Stärkung der Spitzenforschung in Wien gerichtet. Können Sie sich vorstellen, die Aufgaben bzw. das Budget dieser Einrichtung künftig zu erweitern?

ML: Der WWTF ist mittlerweile, dank der erfolgreichen Arbeit seines Präsidenten Michael Häupl eine bewährte Einrichtung, deren Aufgabenerweiterung künftig durchaus denkbar wäre.

 

Wo sehen Sie die wesentlichen Stärkefelder, in denen sich Wien mit seinen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten künftig noch stärker positionieren könnte?

 

ML: Wesentliche Stärkefelder sehe ich in den Bereichen Smart City, Digitalisierung und Life Sciences. Für Städte ist etwa die nachhaltige Energieversorgung ein wichtiges Zukunftsthema. Simulationsmodelle ermöglichen hier nicht nur ganzheitliche Zugänge, sondern auch maßgeschneiderte Lösungen. In Wien forscht für diesen Zukunftsmarkt etwa das Center for Energy des AIT Austrian Institute of Technology im 21. Bezirk. Ein anderes Beispiel ist Siemens Österreich, das sich in aspern Seestadt im 22. Bezirk mit innovativen Technologien im Energiemanagement, der Gebäudetechnologie und Mobilität beschäftigt, um Städte intelligenter, nachhaltiger und damit zukunftsfähiger zu machen.

Bis zum Jahr 2050 werden prognostiziert 6,25 Milliarden Menschen in großen Ballungsräumen wohnen, das entspricht einem Anstieg von rund 80 Prozent. Die Städte werden also weiter wachsen und deshalb viel Energie verbrauchen und CO2-Emissionen erzeugen. Der Kampf gegen den Klimawandel wird deshalb in den Metropolen entschieden werden. Innovation und ein maßgeschneidertes kundenorientiertes Know-how zählen bei der Digitalisierung zu den zentralen Wettbewerbsvorteilen. Das kann eine große Chance für Hochlohnländer wie Österreich und für Wien sein.

 

Die Digitalisierung macht auch vor der Verwaltung nicht Halt. Wien ist in dieser Hinsicht schon sehr gut unterwegs. Welche Projekte liegen Ihnen hierbei besonders am Herzen?

 

ML: Mir ist die Verwaltungsvereinfachung bei gleichzeitigem Schwerpunkt auf einer Verbesserung der Services wichtig. Ein Open Government, das ich über einen permanenten Ideenwettbewerb unter Einbindung der Verwaltung und der Bürgerinnen und Bürger forcieren will. Und Wien soll auch im Verkehrsbereich mithilfe der Digitalisierung zu einer Smart City werden. Intelligente Ampeln und Verkehrsleitsysteme sollen gefördert und ausgebaut werden. Gerne hole ich auch alle Verantwortlichen an einen Tisch, um moderne Logistiklösungen für den LKW- Schwerverkehr in Wien zu finden.


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