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Quantencomputer: Die faszinierenden Möglichkeiten der Superhirne

Im Zeitalter der Supercomputer: Welche Rechenpower steht Österreichs Wissenschaft zur Verfügung? Und an welchen Entwicklungen arbeiten heimische Forscher im Bereich Quantencomputer?

von: Wolfgang Pozsogar

Knapp 600 Kilometer nördlich der finnischen Hauptstadt Helsinki liegt inmitten von endlosen Kiefer- und Birkenwäldern das Städtchen Kajaani. Im Winter sind die Tage hier kaum länger als vier Stunden und es kann mit 30 Minusgraden bitterkalt sein. In dieser rauen und abgelegenen Region findet sich eines der wichtigsten Instrumente der europäischen Wissenschaft: LUMI, Europas schnellster Supercomputer, der fünftschnellste Rechner weltweit und eine der global führenden Plattformen für Künstliche Intelligenz. 380 Petaflops, das sind unvorstellbare 380 Billiarden Gleitkommaoperationen pro Sekunde, beträgt die Rechenleistung dieses Superhirns – so viel wie 1,5 Millionen Laptops.

Finnland, Belgien, die Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Island, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden und die Schweiz gehören dem LUMI-Konsortium an. Österreich ist gemeinsam mit Italien, Griechenland, Ungarn, der Slowakei und Slowenien am zweitgrößten europäischen Rechner beteiligt, dem Leonardo-Pre-Exascale-Supercomputer in Bologna. Mit 250 Petaflops bietet diese Maschine heimischen Wissenschaftlern und Forschern ebenfalls eine Rechnerleistung, die jenseits aller Vorstellungen eines Laien liegt.

Schlüsselstelle für den Zugang zum Leonardo-Cluster

Als Schlüsselstelle für den Zugang zum Leonardo-Cluster fungiert das Vienna Scientific Cluster (VSC) Research Center in Wien, ein Gemeinschaftsprojekt der Technischen Universitäten Wien und Graz, der Universitäten Wien, Innsbruck und Linz sowie der Universität für Bodenkultur Wien. Das VSC Research Center ist auch für Österreichs schnellste Computer, den VSC-4 und den VSC-5, verantwortlich, die im TU Science Center im Wiener Arsenal stehen. Der jüngste Supercomputer VSC-5 hat im Vergleich zu LUMI oder Leonardo eine bescheiden klingende Peak-Performance von 4,30 Petaflops. „Das ist aber immer noch die Leistung von 2.000 High-End-Workstations“, erzählt Herbert Störi, Universitätsprofessor und langjähriger Leiter des VSC Research Centers.

Der Wissenschaftler sieht den Vergleich reiner Leistungszahlen bei Hochleistungscomputern ohnehin skeptisch. „Eine wesentliche Frage, die dabei nicht berücksichtigt wird, ist beispielsweise der parallele Speicherzugriff.“ Das und etliche andere Kriterien von der Rechnerarchitektur bis zu den verwendeten Programmen beeinflussen bei Hochleistungscomputern letztlich, wie schnell Aufgaben gelöst werden. So würde der Supercomputer VSC-5 im Ranking eigentlich hinter dem Vorgänger VSC-4 liegen, durch die größere Zahl von Rechenkernen, den größeren Hauptspeicher und die Verwendung von Grafikkarten ist er aber bei vielen wissenschaftlichen Anwendungen deutlich schneller.

Die Power dieser drei Hochleistungsrechner können Österreichs wissenschaftliche Einrichtungen zum Selbstkostenpreis nützen. Für kommerzielle Anwender werden marktkonforme Preise verrechnet. Es stehen etwa 1.000 Programme für verschiedenste Wissenschaftszweige von der Festkörperphysik über Strömungsmechanik bis zur Moleküldynamik zur Verfügung. „Der Zugangsmodus zu den Supercomputern ist für Wissenschaftler über Projektanträge äußerst unkompliziert“, verspricht Störi, „selbst Doktoranden oder Masterstudenten bekommen bei Bedarf Rechenzeit.“ Außerdem bietet das VSC Research Center Beratung und Kurse für den Umgang mit der Technik. „Genutzt werden kann ein Supercomputer sogar von jedem Laptop aus über ein interaktives System im Web-Browser“, erklärt Störi.

Wettbewerbs-Vorsprung

Die gigantische Rechenleistung der Hochleistungscomputer ist für die Forschung und Wissenschaft enorm wichtig, um im globalen Wettbewerb vorne mit dabei zu sein. Sowohl in den klassischen naturwissenschaftlichen Forschungsfeldern wie Physik, Chemie, Astronomie und Materialwissenschaften, aber auch in Bereichen wie Linguistik oder Archäologie ist diese Technologie heute unumgänglich. „Nur ein Beispiel: Man kann auf einem Hochleistungsrechner chemische Simulationen durchführen und dabei das Verhalten komplexer Moleküle beobachten,“ sagt Störi. Damit lassen sich Erkenntnisse gewinnen, die in klassischen In-vitro-Versuchen nicht oder nur mit enormem Personal- und Zeitaufwand erreichbar wären. Dazu kommt das Thema Künstliche Intelligenz, das großen Rechenaufwand erfordert und erst im Zusammenspiel mit High Performance Computing mit vollem Potential nutzbar ist.

Verständlich, dass weltweit viel Geld in die Hand genommen wird, um die Möglichkeiten von Hochleistungscomputern weiter auszubauen und besser nützen zu können. Auch Europa und Österreich spielen mit. Ein interessantes aktuelles Projekt hierzulande heißt etwa Multi-Site Computer Austria oder kurz MUSICA. Dabei geht es darum, die bestehende Hochleistungsrechner-Landschaft um ein föderiertes Multi-Site-System zu erweitern. Bis Mitte 2025 soll an drei Standorten – Wien, Linz und Innsbruck – eine neue Forschungsinfrastruktur für High Performance Computing entstehen. Das Projekt wird im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans der Europäischen Union und der Forschungsinitiative „Quantum Aus-tria“ gefördert.

Die Verteilung auf drei Standorte bringt eine wesentlich verbesserte Resilienz“, erläutert Universitätsprofessor Störi eines der Ziele von MUSICA. Der Grund: Während bei normalen Rechenzentren für die Ausfallsicherheit wichtige Elemente, wie etwa Netzteile, doppelt vorhanden seien, ließen sich bei Supercomputer-Systemen aufgrund ihrer speziellen Konstruktion solche Sicherheitselemente nur mit enormem finanziellen Aufwand realisieren, so der Wissenschaftler. Außerdem soll bei MUSICA Hochleistungs-Hardware wie leistungsfähige Grafikprozessoren für hohe Performance sorgen, weiß Störi.

„Quantum Austria“

Im Rahmen von „Quantum Austria“ wurde vor kurzem ein weiteres mindestens ebenso spannendes Projekt gestartet, das ein Tor in die Zukunft der Computertechnologie eröffnet. Es soll die klassischen High-Performance-Rechner mit einem Quantencomputer verbinden. Eine wichtige Rolle bei diesem Projekt spielt Thomas Monz, Assistenzprofessor am Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck. Die Uni in Tirols Hauptstadt leitet und koordiniert das interdisziplinäre Projekt gemeinsam mit Partnern in Linz, Wien und Zürich. Innsbruck hat dazu bereits eine Infrastruktur, die viele noch in ferner Zukunft verorten: einen funktionierenden Quantencomputer auf Basis der Ionenfallen-Technologie.

Monz ist überzeugt, dass dieser Quantenrechner eine Entwicklung ist, die internationale Maßstäbe setzt: „Wir haben eine wachsende Zahl von Publikationen, die bestätigten, dass wir den stärksten europäischen Quantencomputer haben und mit unserem System Lösungen prominenter Mitbewerber schlagen“, meint er selbstbewusst. Auch die ersten Entwicklungsschritte der neuen Technologie wurden von den Wissenschaftlern in Innsbruck bereits umgesetzt. „In der Anfangsphase lag der Fokus weniger darauf, die besten Rechenleistungen zu erbringen, sondern wir beschäftigten uns mit dem grundlegenden Verständnis der Physik. Mit diesem Wissen konnten wir in der Folge die Qualität des Systems verbessern“, erzählt Monz.

Jetzt stecken die Entwickler mitten in einer anderen großen Aufgabe: „Wir haben einen funktionierenden Computer, aber wir brauchen – fast so wie in der Anfangsphase der Computertechnik vor 50 oder 60 Jahren – auch einen Assembler-Code, wir brauchen bessere Programmiersprachen, damit die Software-Spezialisten sich auf Algorithmen und Anwendungen konzentrieren können, ohne jedes Detail der Hardware kennen zu müssen“, erläutert Monz. Diese Arbeiten sind im Laufen und teilweise bereits weit fortgeschritten.

Teil einer Hybridlösung

Im nächsten Schritt wird es darum gehen, die beiden Welten – Hochleistungsrechner und Quantencomputer – miteinander zu verschmelzen. „Das ist deshalb sinnvoll, weil allen Experten klar ist, dass für einen effizienten Einsatz ein Quantencomputer nicht vollständig allein arbeiten wird, sondern als Teil einer Hybridlösung agiert, gewisse Aufgaben werden auf klassischen Maschinen, andere auf dem Quantenrechner ausgeführt“, berichtet Nicolai Friis, Assistent am Atominstitut der TU Wien, das Partner in diesem Projekt ist.

Langfristiges Ziel der Hybridlösung ist eine reibungslose und vor allem automatische Zusammenarbeit dieses heterogenen Systems, ergänzt Monz: „Es geht darum, dass das System von sich aus erkennt: Für dieses Problem nehme ich den Quantencomputer, für diese Aufgabe die Grafikkarte und für jene die Netzwerkkarte.“ Der Nutzer soll von diesem Zusammenspiel nichts merken und von einer komplexen Simulation auf dem Quantencomputer beispielsweise mit einer einfachen Auswahl eine hochauflösende mehrdimensionale bildliche Darstellung erhalten, die von einer klassischen Grafikkarte geliefert wird.

Die Möglichkeiten der Hybridtechnik sind vielversprechend, meint Monz, denn es gibt eine Reihe von Aufgaben, bei denen der Quantencomputer dem klassischen Rechner deutlich überlegen sei. So verspricht die Technologie Hilfe bei der Lösung einiger großer globaler Herausforderungen: „Eine konkrete Aufgabe ist es beispielsweise, die Stickstoffbindung in der Natur zu analysieren“, sagt Monz. Die dabei ablaufenden komplexen Prozesse im Zusammenspiel von Pilzen, Bakterien, dem Wurzelwerk von Bäumen ließen sich trotz aller Bemühungen der Forscher bis heute nicht entschlüsseln.

Und das hat einen gravierenden Nachteil: Um den für die Landwirtschaft notwendigen Stickstoff mit den bekannten Technologien zu erzeugen, bedarf es enormer Energiemengen. Es wird geschätzt, dass die Stickstoffdüngerherstellung etwa zwei Prozent des weltweiten kommerziellen Energiebedarfs ausmacht. „Der Quantencomputer könnte dabei helfen, neue Wege zu einer umweltfreundlichen Produktion von Stickstoff zu finden“, ist Monz überzeugt. Das Spin-off der Uni Innsbruck AQT hat für diesen Zweck zusammen mit internationalen Partnern QC Ware, Covestro und Boehringer bereits einen Algorithmus entwickelt und umgesetzt, der beeindruckende Ergebnisse liefert.

Das ist nur eines der spannenden Beispiele, wie Quantencomputer zur Lösung großer globaler Probleme beitragen könnten. Neue Materialkombinationen für effizientere und vor allem preisgünstigere Stromspeicher oder Supraleiter, die auch bei Raumtemperaturen Strom ohne Widerstand transportieren, könnten durch Simulation am Quantenrechner gefunden werden, meint Monz. Solche und viele andere Analysen auf molekularer Ebene lassen sich mit herkömmlichen Rechnern nur bedingt durchführen, sagt der Wissenschaftler: „Will man verstehen, wie sich ein Molekül verhält, welche Eigenschaften, welches Energieniveau es hat, dann trifft man immer wieder auf Quantenkombinationen, bei denen klassische Rechner allein vom Speicherplatz an ihre Grenzen stoßen.“ Quantencomputer dagegen sind mit der Quantenmechanik vertraut und können daher damit in Verbindung stehende Aufgaben einfacher, effizienter und besser lösen, meint der Innsbrucker Wissenschaftler.

Internationale Maßstäbe setzen

An der Verschmelzung von Hochleistungsrechnern und Quantencomputern wird weltweit geforscht. Österreich kann hier internationale Maßstäbe setzen, meint TU-Physiker Friis: „Wir haben ein hervorragendes Team.“ Die Innsbrucker Mannschaft gehöre mit ihrem Ionenfallen-Quantencomputer zur Weltspitze, dazu komme der Theoriesupport von erstklassigen Physikern. „Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Quanten-Community in Österreich sehr stark vernetzt ist – hier kennt jeder jeden, und das Zusammenspiel funktioniert hervorragend“, sagt Friis.

Das Projekt führt nicht allein Grundlagenforschung durch. Durch die Einbindung von Firmen wie der Innsbrucker Quantencomputerschmiede AQT (Alpine Quantum Technologies GmbH) oder der auf Optimierungsprobleme spezialisierten Wiener Logistikfirma Math.Tec. werden neue Wege beschritten, um Hochleistungs- und Quantum Computing als Cloudlösung für viele neue interessierte User benutzbar zu machen. „Wir gehen es also von zwei Seiten an, wir forschen an den Universitäten nach Lösungen für die Hard- und Software und wir versuchen gemeinsam herauszufinden, welche Entwicklungen notwendig sind, um die Technologie nutzbringend einzusetzen“, erklärt der Physiker.

Friis, der die Gruppe Entanglement and Quantum Computing Theory an der TU Wien leitet, glaubt nicht, dass, wie in den Medien oft kommuniziert wird, Quantencomputer das Wundermittel sein werden, mit denen sich alle Herausforderungen der Datenwelt lösen lassen: „Sie werden ein sehr nützliches Tool für bestimmte Aufgaben sein“, meint er. An der Forschungsarbeit auf diesem Gebiet fasziniert ihn die Möglichkeit, mit Quantencomputern heute noch unlösbare Probleme zu enträtseln: „Hier ist noch viel Potential für die Grundlagenforschung gegeben und hier können wir noch viel über die Natur lernen,“ sagt er.

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