Jetzt hat es die Europäische Union doch geschafft: Mit der Stimme von Österreichs (Noch)-Umwelt- und Klimaministerin Leonore Gewessler konnte bei der letzten Ratssitzung im Juni in Luxemburg die letzte Hürde genommen werden, um die notwendige Mehrheit für das Renaturierungsgesetz zu erzielen. Zwar hat sich Gewessler damit eine Ministerklage des Koalitionspartners ÖVP eingehandelt, in der Europäischen Union stehen nun aber alle Ampeln auf Grün, um die Verordnung nach langem Hin und Her für alle EU-Länder rechtskräftig werden zu lassen.
Die heiß umkämpfte „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur“, für die es schon im Europäischen Parlament des öfteren Spitz auf Knopf gestanden war, sieht nur vor, dass ein Fünftel aller Flächen an Land und auf See bis 2030 wieder in einen ökologisch gesunden Zustand gebracht werden sollen. Bis 2050 sollen 90 Prozent aller beeinträchtigten Flächen renaturalisiert sein. Welche Maßnahmen die EU-Länder dafür unternehmen, schreibt die EU-Verordnung nicht explizit vor. Jedes Land soll dafür einen eigenen Plan vorlegen, wie zerstörte Naturgebiete wiederhergestellt, also Flüsse freier fließen, trockengelegte Moore wieder vernässt, Wälder aufgeforstet oder Städte mehr Grünraum bekommen sollen.
„Carbon Management Strategie“
Während in der Öffentlichkeit die Diskussion über das Renaturierungsgesetz vor allem den Schutz der Natur und der Artenvielfalt in den Vordergrund gestellt hat, könnte die Verordnung aber auch die Einführung und Umsetzung von „Negative Emission Technologies“ (NET) erleichtern, mit denen CO2-Emissionen durch die Bildung neuer Kohlenstoffsenken kompensiert werden könnten. Dieses Thema, unter dem unterschiedliche Methoden der (natürlichen) CO2-Speicherung subsummiert werden, führte bislang in der Öffentlichkeit eher ein Schattendasein.
Ende Juni aber hat die Regierung per Umlaufbeschluss ihre „Carbon Management Strategie“ beschlossen. Mit dieser sind nun die rechtlichen Grundlagen geschaffen, Kohlendioxid aus Rauchgas abzuscheiden, es unter Umständen per Pipeline bis in die Ostsee zu verfrachten oder in alten Gas- oder Ölförderstätten gleich vor Ort zu speichern. Ein wissenschaftlicher Expertenrat soll die Regierung in der Wahl der Mittel beraten, um dabei immer das „gelindeste Mittel“ zu wählen. Denn es gibt viele unterschiedliche Negativemissions-Technologien, die auch direkt oder indirekt im Rahmen von Renaturierungsprozessen durchgeführt werden könnten.
„Negative Emission Technologies“
Der IPCC listet an „Negative Emission Technologies“ eine ganze Reihe auf: etwa verbesserte Waldbewirtschaftung sowie Auf- und Wiederaufforstung (Afforestation & Reforestation (AR)/Forest Management) oder die Wiedervernässung von Mooren und Feuchtgebieten als eine Methode des „Soil Carbon Storage“ (SCS), aber auch sauerstoffarme Verbrennung von Biomasse in Pflanzenkohle durch den Prozess der Pyrolyse (Biochar mendment, BC). Die Pflanzenkohle wird dabei nicht verbrannt, sondern in den Boden als Dünger („Terra Preta“) eingebracht. Ergänzt werden diese NET-Methoden durch Technologien, die sich in der Hochskalierung befinden, wie etwa der Kohlendioxidabscheidung bei Verbrennungsprozessen (Bioenergy Carbon Capture and Storage, BECCS) – etwa durch katalysatorische Rauchgaswäsche – oder der Kohlenstoffabscheidung direkt aus der Luft, dem „Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS).
Neue Studien zeigen, dass naturnahe NET-Methoden gute Chancen haben, dem reinen „Carbon Capture & Storage“ (CCS) in leeren Fossillagerstätten in ihrer Wirksamkeit den Rang als gelindestes Mittel abzulaufen. Denn deren CO2-Senkenpotenzial ist für Österreich überraschend hoch. Der Grund dafür liegt in einem Faktum: Österreichs Waldreichtum. Fast die Hälfte der Staatsfläche (48 Prozent) ist bewaldet. Würde man Österreichs Wälder optimiert auf CO2-Speicherung und nicht auf Ertrag bewirtschaften – vereinfacht ausgedrückt, den Waldbau extensivieren, also weniger Holz einschlagen, Bäume erst im höheren Alter ernten und für eine nachhaltige (Wieder-)Aufforstung sorgen – könnte theoretisch halb Österreich in eine veritable CO2-Senke verwandelt werden.