5/2023 Forschung Wirtschaft
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Überraschende Dynamik

Internationale Studien belegen, dass die Energiewende an Fahrt aufgenommen hat. Die Ausbauraten für Wind- und Solarenergie übertreffen die Prognosen um ein Vielfaches.

von: Norbert Regitnig-Tillian

Jahrelang gab es von der Internationalen Energieagentur bei den Zuwachsraten von Wind- und Solaranlagen nur Prognosen in kümmerlichen Schritten. Vor zwei Jahren hat die IEA dann erstmals damit begonnen, Szenarien durchzurechnen, die das 1,5 Grad-Ziel möglich machen könnten. Eine Herausforderung, so die Conclusio, aber darstellbar. Diesen Herbst veröffentlichte die IEA ein Update ihrer Berechnungen und scheint von der neuen Dynamik selbst überrascht worden zu sein. Denn die globalen Zuwachsraten für erneuerbare Energie zeigen steil nach oben. Die Neuberechnungen legen offen, dass vor allem der Ausbau von Solaranlagen außergewöhnlich ist. Innerhalb von 13 Jahren hat sich die Solaranlagen-Kapazität um das 26-fache vergrößert, vor allem durch Projekte in Asien.

Damit liegt die Kapazitätsrate auf einem Wert, den die internationalen Energieexperten erst für 2035 prognostiziert hatten. Der globale Windkraftausbau hat zwar eine deutlich schwächere Dynamik. Aber auch die installierte Windkraft-Leistung hat sich im selben Zeitraum verfünffacht. „Diese überraschende Dynamik hat auch für die weiteren Prognosen Auswirkungen“, sagt Thomas Kienberger, Professor für Energieverbundtechnik an der Universität Leoben. „Weil mehr Strom direkt zur Verfügung steht, muss tendenziell weniger grüner Wasserstoff verstromt und weniger Kohlendioxid abgeschieden und gespeichert werden.“ Das wiederum nütze vor allem der energieintensiven Industrie, da tendenziell mehr grüner Wasserstoff für die Defossilisierung energieintensiver Produktionsprozesse zur Verfügung stehen werde.

Stark fallende Kosten

Dass die Energiewende an Fahrt aufgenommen hat, zeigen auch die fallenden Kosten. Wie eine Analyse des Rocky Mountain Institutes (RMI) zeigt, ein Energie-Think-Tank, der unter anderem aus den Mitteln des Jeff Bezos „Earth Fonds“ finanziert wird, sind die exponentiellen Zuwachsraten nicht nur stabil, sondern zu- gleich sinken auch die Preise. So sind die Kosten für Onshore-Wind- und Solaranlagen seit 2010 um 80 Prozent gefallen. Die Kosten für Wind- und Solarenergie lagen im ersten Halbjahr 2023 bei rund 40 Dollar pro Megawattstunde – und betragen somit nur mehr die Hälfte der Kosten für Strom aus Kohle- oder Gaskraftwerken.

Umgelegt auf den Neuausbau bedeutet das, dass erneuerbare Energie-Anlagen mittlerweile in vier von fünf Fällen die günstigste Alternative darstellen. Weil sich die Kosten für erneuerbare Energieanlagen bis 2030 bei gleichbleibender Dynamik noch halbieren werden, erwarten sich die RMI-Experten, dass Öl und Gas in der Stromproduktion schneller als gedacht durch Wind und Sonne ersetzt werden wird.

Die gute Nachricht: Dieser Trend wird sich fortsetzen, glauben die Energieexperten. Denn zusätzlich zu den fallenden Kosten zeigen auch noch andere Faktoren auf „mehr erneuerbare Energie“. Sinkt etwa durch den vermehrten Einsatz von Elektroautos – für diese sind bis 2030 enorme Zuwachsraten prognostiziert – die Nachfrage nach fossiler Energie, schwäche das auch die Lobby der Ölindustrie. Denn damit werde es immer offensichtlicher, dass Wind- und Solarenergie die Energiequellen der Zukunft sind.

Paradigmenwechsel

Die derzeitigen Scharmützel um das Ende des Verbrennermotors zeigen freilich auch, dass die Erdöllobby das Feld nicht kampflos räumen will. Nicht zuletzt hat aber der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die Themen „Versorgungssicherheit“ und „Effizienzsteigerung“ – und damit auch den verstärkten Ausbau von erneuerbaren Quellen – für viele Länder in Europa zu zentralen Politikzielen gemacht. Von den vielen „fossilen“ Baustellen ist die Industrie eine der Wichtigsten. Kienberger, der Zero-Emission-Szenarien für Österreich im Rahmen eines Projektes des Innovationsverbund New Energy for Industry (NEFI) durchgerechnet hat, zeigt sich auch dabei optimistisch. Denn die Energiewende ist rechnerisch darstellbar. „Die Hürden liegen zudem nicht im technologischen Bereich, sondern in den wenig definierten Rahmenbedingungen. Die bringen noch Unsicherheit.“

Um den Umstieg der fossilhungrigen Industrie auf erneuerbare Quellen zu beschleunigen, hat Österreich noch einige Hausaufgaben zu erledigen. Zum Beispiel muss die Defossilisierung der Prozesswärme bis 200 Grad Celsius durch den Umstieg auf Hochtemperatur-Wärmepumpen beschleunigt werden. „Es ist notwendig, die Industrie durch öffentliche Förderprogramme bei den Innovationszyklen zu unterstützen, damit sie frühzeitig auf teurere, aber klimaneutrale Technologien umstellen kann.“

Nachhaltige Energieimporte

Ein weiterer Aspekt betrifft die Energieimporte. Um die Stahlindustrie klimaneutral zu machen, könnte das Rohprodukt, der Eisenschwamm, zwar mit grünem Wasserstoff reduziert werden. Der neue Rohstoff wird dann im Elektrolichtbogenofen gemeinsam mit viel Recyclingschrott und grünem Strom zu Stahl umgeschmolzen. Da Österreich aber selbst bei hervorragendem Ausbau erneuerbarer Energiequellen nicht genügend erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff aus heimischen Quellen bereitstellen kann, müssen stabile und diversifizierte Energieimportrouten geschaffen werden.

Diskutiert wird die Möglichkeit von Importen aus wind- und sonnenreichen Regionen wie Nordafrika, Vorderasien oder Lateinamerika. Die nachhaltige Beschaffung von erneuerbarer Energie/grünem Wasserstoff sieht Kienberger als einen wichtigen Teil der (öffentlichen) Sicherstellung der industriellen Rahmenbedingungen. „Das ist natürlich nicht nur ein österreichisches, sondern ein europäisches Projekt“, so der Experte.

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