Wirtschaft

Wie werden Städte lebenswerter?

Bild: ACR
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Jesus de la Quintana
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Das international tätige Forschungsinstitut Tecnalia aus dem Baskenland verfügt über langjährige Expertise im Bereich „Urbane Entwicklung“ und koordiniert mehrere Smart City Projekte der EU. Jesus de la Quintana, Leiter des Bereichs Urban Solutions, über die Zukunft der europäischen Stadtentwicklung.

von: Anja Kossik

Austria Innovativ: An welchen Lighthouse Projekten der EU im Bereich Smart Cities ist Tecnalia beteiligt?

Jesus de la Quintana: Horizon 2020 der EU ist eine Weiterentwicklung des 7. Rahmenprogramms. Die Smart City Initiativen sind eines von vielen Zielen, die verfolgt werden. Die Lighthouse Projekte zählen nicht nur zu den aufregendsten, sondern auch zu den relevantesten Zukunftsentwicklungen. In das erste Projekt, an dem wir beteiligt sind – das REPLICATE Programm (Renaissance of PLaces with Innovative Citizenship And Technology) – sind mittlerweile sechs europäische Städte eingebunden. Drei davon (Bristol, San Sebastian und Florenz) waren von Anfang an dabei. Obwohl Europa im weltweiten Vergleich verhältnismäßig klein ist, unterscheidet sich das Leben in diesen Städten doch sehr deutlich voneinander: In Österreich kann man etwa in Städten wie Wien oder Salzburg eine übereinstimmende Lebensart identifizieren. Egal ob kleinere oder größere Städte, es gibt einen Konsens darüber, welche Einrichtungen benötigt werden, was die Bedürfnisse der Menschen sind und auf welche Art und Weise eine Stadt und ihre Einwohner miteinander interagieren. Betrachtet man Städte in Italien, Portugal oder Skandinavien, sind der Bedarf und der Zugang dazu, wie dieser Bedarf zu decken ist, vollkommen verschieden. Das heißt, wenn man Projekte auf EU Ebene durchführt, ist es wichtig, diese verschiedenen Blickwinkel und Interpretationen zu berücksichtigen. Nur dann sind die Ergebnisse auch für andere Regionen wertvoll und replizierbar. Im zweiten Projekt mit dem Namen SmartENCity geht es darum, den CO2-Fußabdruck und den Energieverbrauch der Städte mithilfe von lokal verfügbaren erneuerbaren Energien und durch Einbindung der Bewohner in das Energiemanagement auf ein Minimum zu reduzieren.

Austria Innovativ: Was ist das gemeinsame Ziel dieser Projekte?

JdlQ: In beiden Projekten liegt der Fokus darauf, die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern und auf eine koordinierte Art und Weise zu Lösungsansätzen zu kommen. Die Lösungen, die den Städten nämlich von den großen Technologieunternehmen angeboten werden, betrachten diese nur als Kunden bzw. Geschäftspartner. Die angebotenen Technologien sind aber häufig nicht auf das zugrundeliegende soziale Gefüge der jeweiligen Städte abgestimmt. Es gibt beispielsweise Modelle, die dieses Beziehungsgeflecht in sechs Ebenen oder Schichten darstellen: Dazu gehören unter anderem physische Infrastruktur, Dienstleistungen oder Einwohner selbst. Einige Technologien bedienen aber nur eine dieser Ebenen, ohne die anderen miteinzubeziehen und funktionieren daher nicht optimal. Ziel der Lighthouse Projekte sind aber tatsächlich in der Praxis umsetzbare Lösungen. Die Einwohner der Städte sollen die Möglichkeit haben, mit ihrem Lebensraum glücklich und zufrieden zu sein. Die Leistungen, die von den Städten dafür zur Verfügung gestellt werden, müssen einerseits effizient und andererseits leistbar sein. Das heißt, es ist notwendig, dass diese Leistungen auf eine nachhaltige Art und Weise angeboten werden.

Austria Innovativ: Mit welchen Risiken ist eine derartige urbane Entwicklung verbunden?

JdlQ: Wenn es die Städte schaffen, die Lebensqualität für ihre Bewohner zu optimieren, dann liefert das natürlich ein Signal an andere Menschen, sich dort ebenfalls anzusiedeln. Wenn die Einwohneranzahl aber über ein gewisses Maß steigt, dann werden die dadurch neu entstehenden Probleme irgendwann nicht mehr lösbar sein. Auf der anderen Seite müssen Städte aber im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb eine gewisse Anziehungskraft besitzen, um für die am Arbeitsmarkt benötigten Talente attraktiv zu sein. Denn es besteht auch ein wechselseitiges Verhältnis zwischen der Attraktivität eines Lebensraums und seiner wirtschaftlichen Entwicklung und eine Stadt ist in diesem Kreislauf entweder erfolgreich oder sie stirbt. Dieser Trend in Richtung der urbanen Lebensräume ist daher ungebrochen und es geht in unseren Projekten weniger darum diesen Trend umzukehren als ihn erfolgreich, effizient und nachhaltig zu managen. Wir gehen von der aktuellen IST-Situation und dem dadurch entstehenden Bedarf aus. Es ist unser Ziel, die Städte nicht primär „smarter“, sondern sie lebenswerter zu machen und dazu braucht es Arbeitsplätze, Wohnraum und eine funktionierende Grundversorgung. Die Zuwanderung zu den wirklich großen Metropolen lässt sich nur dadurch verhindern, dass kleinere und mittelgroße Städte regionale Netzwerke bilden und dadurch Mikrosysteme entstehen. Diese lokale Vernetzung hat bei uns im Baskenland sehr gut funktioniert und stellt auch in Großstädten eine Möglichkeit dar, Vororte oder Außenbezirke so zu organisieren, dass die Bewohner das Stadtzentrum nicht mehr unbedingt benötigen und sich Horrorgeschichten aus dem asiatischen Raum mit täglichen mehrstündigen Staus und Verkehrschaos vermeiden lassen. Die erste Grundregel im Management eines urbanen Problems ist immer die Reduktion: Wenn ich das städtische Verkehrsaufkommen managen will, muss ich den Verkehr zuerst verringern, bevor ich ihn effizienter machen kann. Und den Verkehr verringern kann ich hauptsächlich dann, wenn der Bedarf nach Wohnen, Arbeiten und Freizeit möglichst lokal gedeckt wird.

Austria Innovativ: Wie definieren Sie und Ihre Projektkollegen den Begriff „smart“?

JdlQ: Wir versuchen diesen Begriff so gut es geht zu vermeiden. Wenn Sie den Begriff „smart“ in einer Konferenz verwenden, dann sind die Chancen groß, dass im Detail jeder etwas Anderes darunter versteht. Im Allgemeinen wird das Wort „smart“ mit technologischem Fortschritt assoziiert. Für uns ist ein schlaues Städtekonzept aber nicht unbedingt eines, das mit den allerneuesten technischen Lösungen, tausenden Sensoren oder der innovativsten Informations- und Kommunikationstechnologie vollgestopft ist, das die wenigsten tatsächlich nutzen, verstehen und bedienen können und das ein riesiges Budgetloch in die Kassen der Städte reißt. Wir konzentrieren uns also nicht auf die technologische Bedeutung des „Smart City“ Modells, sondern auf die Lebensqualität der Menschen. Lebenswerte Städte sind in der Lage drei essenzielle Dinge miteinander zu verbinden: integrierte Dienstleistungen für Bürger, nachhaltiges sozioökonomisches Gefüge und soziales Engagement der Einwohner.

Austria Innovativ: Was ist die Aufgabe von Tecnalia in diesen Projekten?

JdlQ: Wir sind ein sehr anwendungsorientiertes Forschungsinstitut und in eine Vielzahl von EU Aktivitäten eingebunden. Wir wurden als Partnerinstitut für die Smart City Projekte ausgewählt, weil wir über Expertise darin verfügen, komplexe Arbeitsgemeinschaften zu betreuen und zu koordinieren. Das ist bei derartigen Großprojekten eine sehr anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe. Wir kennen uns auch damit aus, wie man neue Technologien auf eine vernünftige Art und Weise einsetzt und wie mithilfe von Innovationen eine nachhaltige Entwicklung gewährleistet werden kann. Es ist gar nicht so leicht zu sagen, wie viele von unseren 1.500 Mitarbeitern jetzt tatsächlich aktuell in ein Projekt eingebunden sind, denn unser Institut ist in verschiedenen Sparten organisiert – Energie, Mobilität und Transport, Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch Baustoffentwicklung und Gesundheitsbereich. Wir können im Rahmen unserer Projekte das Know-how aus allen Teilbereichen miteinander verbinden und so Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen der urbanen Entwicklung finden.


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