Interview

"Wir brauchen die Digitalisierung"

Foto: TU Wien
Prof. Andreas Kugi
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Prof. Dr. Andreas Kugi, Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik (ACIN) und Professor für komplexe dynamische Systeme an der TU Universität Wien, leitet das Christian Doppler Labor für Modellbasierte Prozessregelung in der Stahlindustrie und hat seit 2017 die Co-Leitung am Center for Vision, Automation & Control am AIT Austrian Institute of Technology inne. Im Interview relativiert er Technologie-Ängste.

von: Harald Hornacek

Müssen wir uns vor der Automatisierung fürchten?

Nein, denn die Automatisierung ist nichts Neues. Sie bringt seit jeher Veränderungen mit sich und treibt den Fortschritt seit Jahrhunderten auf unterschiedlichste Weise voran. Damit einher geht natürlich auch eine kontinuierliche Veränderung in den Arbeitsprozessen. Im Laufe der Zeit sind immer Tätigkeiten weggefallen und dafür neue Aufgabenfelder entstanden. Ein einfaches Beispiel zur Verdeutlichung der Komplexität: Eine Reinigungskraft säubert nicht nur den Boden, sondern schlichtet auch Regale um, um sie zu reinigen. Den Boden könnte ein Roboter putzen – Regale mit der vorhandenen Technik systematisch und zuverlässig umräumen kaum, zumal die Arbeitsumgebung komplexer ist, als man annehmen möchte. Die unterschiedlichen Lichtverhältnisse, die Vielfalt an zu manipulierenden Gegenständen, die zum Teil beengte räumliche Situation machen die Automatisierung dieser Aufgabe äußerst schwierig.

 

Aber ist es nicht gerade das Tempo, das Menschen mitunter überfordert?

Ich bin mir nicht sicher, ob die gefühlte Geschwindigkeit der Veränderung heute wirklich so viel höher ist als vor 100 Jahren – man müsste dazu Betroffene aus der damaligen Zeit fragen, wie sie die Veränderungen zu dieser Zeit erlebt haben. Was allerdings anders ist in dieser „industriellen Revolution“ – wenn wir es so nennen wollen, obwohl ich kein Freund dieses Wortes bin – sind zwei Dinge. Erstens werden nun auch Tätigkeiten automatisiert, die zum einen ein gewisses Maß an kognitiven Fähigkeiten verlangen und zum anderen bisher weitgehend nicht betroffen waren, wie beispielsweise im Verwaltungsbereich, bei Banken oder Versicherungen. Zweitens liegt die Innovation heutzutage zumeist in digitaler Vernetzung, Algorithmen, Datenanalyse, Softwarelösungen. Diese lassen sich aber sehr leicht skalieren und tendieren dazu, die Reduktion gewisser Tätigkeiten zu beschleunigen. Damit fallen sicherlich künftig Teilbereiche unserer heutigen Arbeitswelt weg bzw. werden sich komplett ändern. Aber auch das ist nicht per se negativ zu sehen und war immer schon Teil der Entwicklung der Menschheit. Denken wir an die Bedeutung der Landwirtschaft vor 100 Jahren für die Arbeitswelt und vergleichen wir das mit heute. Aber wenn wir uns fragen, was noch genau alles kommen wird, dann wissen wir das heute ehrlicherweise noch nicht.

 

Vielleicht ist das auch der Grund, warum so viele Ängste und Sorgen vor der technologischen Zukunft vorhanden sind?

Natürlich ist die Ungewissheit ein Faktor. Aber ich denke, es liegt auch an einem Mangel an technologischem Interesse und Wissen, um Fiktion von technisch Machbarem besser unterscheiden zu können. Da haben wir in Österreich wirklich Nachholbedarf. Es muss jedem Menschen klar sein, dass es ohne Automatisierung gewisse Errungenschaften einfach nicht gäbe – denken wir an die Präzision bei der Herstellung von Halbleiterprodukten für Handys und Autos, denken wir an Produktionen, in denen extrem hohe Kräfte oder für den Menschen schädliche Temperaturen vorhanden sind, oder denken wir an die Vergleichmäßigung der Produktqualität, die Erhöhung der Energie – und Ressourceneffizienz, die systematische Reduktion von Fehlern und die Steigerung der Robustheit und Zuverlässigkeit. Wenn wir auch in Zukunft in Österreich international wettbewerbsfähig sein wollen, dann brauchen wir die Automatisierung. Letzten Endes ist es aber auch eine Frage wie wir in der öffentlichen Diskussion damit umgehen: Denn Automatisierung wird allzu oft auf den Wegfall von Arbeitsplätzen reduziert und nicht auf die Chancen, die sich dadurch ergeben.

 

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung in der Robotik ein?

Es gibt für mich eine ganz klare evolutionäre Entwicklung, und die heißt: vom Assistenzsystem und der Mensch–Maschine Kollaboration über den teilautonomen Betrieb bis hin – in ferner Zukunft – zum autonomen Betrieb in gewissen Umgebungen. Wir werden lernen müssen, Roboter als Werkzeuge zu sehen, die flexibel einsetzbar sind. Wir werden sie künftig nicht hinter Zäunen einsperren, wie das heute der Fall ist.  Die heutigen Automatisierungssysteme sind meist zu starr und auf großvolumige Produktionen ausgerichtet. Zukünftig wird es mehr um Flexibilisierung und Individualisierung der Produktion gehen. Heute verrichten Roboter nach wie vor im Prinzip zum Teil durchaus komplexe, aber rein monotone Arbeiten. Hier wird sich einiges ändern. Das hat gleichzeitig auch Auswirkungen auf die Produkte der Zukunft: Wenn Mensch und Maschine näher zusammenarbeiten, die Automatisierung in Bereiche vordringt, die heute zum Großteil zumeist in Asien auf rein manueller Fertigung beruhen, dann brauchen wir auch neue Produktdesigns. Diese müssen „automatisierungsgerechter“ werden als heute. Der Vorteil für uns Konsumenten: Produkte werden künftig deutlich individualisierter als sie es heute sind.

 

Können Sie dazu ein Beispiel geben?

Ich denke da etwa an die Bekleidungsindustrie, um ein Beispiel zu nennen. Das heißt, Sie gehen in eine „Kabine“ und erhalten dort eine Vielzahl von Hemden oder Jacken genau nach Ihren Körpermaßen zum „virtuellen Anprobieren“. Sie können unterschiedlichste Kleidungsstücke probieren, und wenn Sie sich entschieden haben, wird das umgehend für Sie automatisiert produziert und zu Ihnen nach Hause geschickt bzw. Sie können es am nächsten Tag abholen. Diese kundenindividuelle automatisierte Produktion bringt auch die Chance mit sich, dass die Produktionseinheiten selbst näher zum Kunden gebracht werden können.

 

Ist ein Automatisierungsgrad von 100 Prozent anzustreben oder überhaupt erreichbar?

Wenn man den Automatisierungsgrad durchgängig an die 100 Prozent Grenze bringen möchte, dann steigen der Aufwand und die Kosten übermäßig stark an. Wollte man alle Eventualitäten und Sonderfälle abdecken, so wäre das wirtschaftlich in den meisten Fällen kaum vertretbar und auch technisch nicht immer machbar. Es sei denn, man bewegt sich in einem beschränkten geschlossenen Regelwerk. Aber bis eine künstliche Intelligenz selbstständig im großen Stil Entscheidungen treffen kann, ist es noch ein sehr, sehr weiter Weg – wenn er denn überhaupt jemals wirklich machbar ist. Heutige humanoide Roboter können auch nur in sehr beschränktem Maße agieren. Oftmals werden sie für bestimmte „Show-Effekte“ aufwändig programmiert, und nicht einmal dann klappt es immer. Darum stehe ich dem Konzept der „Lights-out Factory“, in der es überhaupt keine Menschen mehr gibt, eher skeptisch gegenüber, es sein denn die Fabrik wird über Teleoperation überwacht und es gibt mobile Einsatzteams für das Service und zur Lösung von Problemfällen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen auch, dass durch die Steigerung und Verbesserung der Automatisierung in der produzierenden Industrie kaum Arbeitsplätze weggefallen sind, sondern der Fokus mehr im Bereich Flexibilisierung, Vergleichmäßigung, Ressourcen- und Energieeffizienz liegt.

 

Ist das autonome Fahren auf unseren Straßen wirklich so nahe, wie man es manchmal in den Medien liest oder hört?

Naja, da gibt es schon noch einiges zu klären, Stichworte sind da sicherlich Zuverlässigkeit, Robustheit, Verfügbarkeit. Auch im Umgang mit den Systemen selbst sind neben der technischen Ausführung noch andere Fragen offen, beispielsweise in moralisch-ethischer, aber auch in juristischer Hinsicht. Und da Sicherheit für das menschliche Leben keine Kompromisse kennen darf, wird das wohl länger dauern, als es heute den Anschein hat.

 

Ist Österreich aus Ihrer Sicht bereit für diese nächsten Digitalisierungs-Schritte?

In Teilbereichen sind wir besser, als wir glauben. Wir haben starke, innovative Unternehmen und auch exzellente Forschungsexpertise an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Auch die technische Ausbildung junger Leute ist in Österreich sehr gut und bildet eine hervorragende Basis. Trotzdem sind die Herausforderungen insbesondere für einige traditionell maschinenbaulich orientierte Unternehmen sehr groß, die notwendige Expertise im Bereich Digitalisierung, Automatisierung bis hin zu neuen Geschäftsmodellen in kurzer Zeit auf- und auszubauen.  Ich denke auch, dass wir als kleines Land nicht alles selbst machen können und uns deshalb im Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation auf unsere Stärkefelder konzentrieren sollten. Am wichtigsten wird es aber sein, viele junge Menschen für die Weiterentwicklung dieser neuen Technologien zu begeistern.


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