Den Computer bedient Mario mit der IntegraMouse Plus, einer Computermaus, die er nur mit den Lippen steuert.
LIFEtool/Florian Neumüller
Liam ist ein sehr aufgeweckter und intelligenter Junge. Seit Geburt ist er sprachlich und körperlich beeinträchtigt. Er verwendet einen augengesteuerten Computer, um mit seiner Familie und seinen Freunden im Kindergarten zu kommunizieren. Seine Mutter hat für Liam den Traum, dass er einmal studieren und selbstbestimmt sowie möglichst autonom sein Leben führen kann. Dank moderner Technologie und einem liebevollen und unterstützenden Umfeld stehen ihm diese Möglichkeiten offen.
Isabella lebt mit dem Rett-Syndrom, kann sich weder selbst sprachlich ausdrücken noch gehen. Aber sie hat gelernt, den Computer mittels Kopfsteuerung zu bedienen. Damit kann sie mit Familie und Freunden in der Schule kommunizieren und sich selbständig mitteilen. Sagen zu können, was man mag und braucht und vor allem auch, was man vielleicht nicht so gerne mag, ist für alle Menschen wichtig.
Bedürfnisse berücksichtigen
Drei Beispiele, die eindrücklich wiedergeben, warum die Arbeiten von FH-Prof. DI (FH) Dr. Mirjam Augstein, Expertin für personalisierte und kollaborative Systeme, und ihres Teams so wichtig sind. „Wir verfolgen in unseren Forschungstätigkeiten zumeist eine Kombination aus Personalisierung und Interaktion“, sagt Augstein. Personalisierung sei ein Trendthema, das aktuell in unterschiedlichen Anwendungsbereichen verstärkt aufgegriffen werde. „Grundsätzlich versteht man unter Personalisierung, dass man beispielsweise eine Benutzerschnittstelle, einen Inhalt oder ein Systemverhalten individuell auf eine Benutzerin/einen Benutzer zuschneidet.“ Dies kann auf verschiedene Art und Weise erfolgen, wobei das Ziel häufig nicht ist, „zu automatisieren“, sondern individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das gilt übrigens auch für die Arbeitswelt: „Im industriellen Umfeld hat erfahrenes Personal andere Bedürfnisse als Neueinsteiger. Und natürlich können auch Beeinträchtigungen – temporär oder dauerhaft – die Anforderungen verändern“, sagt Augstein. Zudem spiele der demografische Wandel eine bedeutende Rolle: Die arbeitende Bevölkerung wird älter, Assistenzmaßnahmen werden immer wichtiger und sollen auf das jeweilige Szenario und vor allem die individuelle Person angepasst werden. „Benutzerschnittstellen und Systeme waren bisher zwar häufig sehr umfassend und oft sogar unter Berücksichtigung von Grundregeln zur Gestaltung barrierefreier Entwicklung konstruiert, die Voraussetzungen der Menschen, die sie bedienen, sind allerdings meist sehr unterschiedlich“, führt Augstein aus.
Ein Ansatz ist daher: Der Mensch passt sich an das System an. Das wäre der traditionelle Weg. Besser ist: Das System passt sich an das an, was Benutzerinnen und Benutzer mitbringen, um von möglichst vielen effizient und komfortabel bedient werden zu können. Daher setzt Augstein mit ihrem Team an der FH OÖ auf systemgesteuerte Anpassung. „Personalisierung kann man benutzergesteuert konfigurieren oder eben adaptiv, sodass das System beispielsweise erkennt, womit eine Benutzerin bzw. ein Benutzer besser oder schlechter arbeiten kann. Dabei muss man aber behutsam vorgehen und solche Angebote mit Bedacht einsetzen. Man kann zwar vieles individualisieren, aber man benötigt Informationen über die Benutzerin/den Benutzer, muss Daten erheben – da berührt man schnell den Bereich der Privatsphäre und die Grenzen des Datenschutzes.“ Das Ziel müsse sein, die Anwendung für den Menschen besser zu machen. Daher müsse auch der Mensch immer im Zentrum des Entwicklungsprozesses stehen. „Schlecht umgesetzte Personalisierung ist schlechter als gar keine“, meint Augstein pointiert und weist darauf hin, wie sensibel diese Arbeit letzten Endes ist. Man müsse beständig evaluieren, adaptieren, aber dabei die Souveränität der Menschen, die mit der Lösung arbeiten, wahren.
Auch in einem Forschungsprojekt wurden personalisierte Interaktionsmethoden analysiert. Bei IAAA – Interaction Analysis for Automated Adaptation ging es darum, die Interaktion mit dem jeweiligen System in den Fokus zu stellen. Wie lassen sich (mitunter temporäre) Beeinträchtigungen, beispielsweise ein Tremor in der Hand, in der Bedienung eines Eingabegeräts lösen? Bei diesem Projekt kooperierte die FH OÖ mit dem gemeinnützigen Unternehmen LIFEtool, das Menschen mit Unterstützungsbedarf in der Kommunikation berät und gleichzeitig Lösungen im Bereich der assistierenden Technologien, wie beispielsweise die IntegraMouse Plus, entwickelt. „Eingabegeräte wie beispielsweise der Touchscreen sind häufig für den Mainstream entwickelt, aber wer ein individuelles Bedürfnis hat, kann das eventuell gar nicht bedienen“, sagt Augstein, „wir haben daher nachgedacht, wie man das ändern kann. Dazu haben wir eine Softwarelösung entwickelt, die die Interaktion analysiert. Ein System, das mit verschiedensten Interaktionsgeräten und mit unterschiedlichen Eingabeaktivitäten bedient werden kann. Das Framework verwaltet eine Reihe von Metriken, die je nach Gerät und Eingabemethode unterschiedlich definiert werden. Es geht um ganz bestimmte Eingabesettings, beispielsweise, wie lange ein gewisser Druck an einer Stelle ausgeübt werden kann, wie präzise der Eingabevorgang ist oder wie viele Eingabefehler ein Mensch macht.“ Es zeigte sich beispielweise im Rahmen einer Benutzerstudie, dass ein Teil der Zielgruppe, die vorrangig Menschen mit Beeinträchtigungen umfasste, Bewegungen entlang der vertikalen Achse besser kontrollieren konnte als entlang der horizontalen Achse. Daher wurde eine druckgeführte Lösung entwickelt, die unterschiedlich starke Druckeinwirkung nutzt, aber beispielweise auch Scanning erlaubt. „Menüeinträge auswählen, weiterspringen oder Schritte ändern – all das lässt sich über die Druckregelung definieren“, erklärt Augstein. Nach Interaktionstests mit verschiedenen Eingabegeräten gibt das System eine Empfehlung für das optimale Setting bestehend aus Eingabegerät und Konfiguration, das die Benutzerin/der Benutzer dann auswählen kann. Alles, was in die Softwarelösung integriert ist, kann dann individuell, also mit dem individuell besten Eingabegerät und der passendsten Konfiguration gesteuert werden. Die Softwarelösung umfasst z. B. verschiedene druckbasierte Interaktionslösungen, berührungslose Interaktion, Interaktion mittels Joystick bis hin zur Steuerung über die Tonhöhe. Zudem ist das System lernfähig, denn Fertigkeiten und Präferenzen können sich im Laufe der Zeit ändern.
Auch für die Industrie interessant
Im FFG-geförderten industriellen Forschungsprojekt WIFI – Welding Interaction in Future Industry, das von der FH OÖ in Kooperation mit Fronius und LIFEtool durchgeführt wird, geht es weniger um Personalisierung, als mehr um Interaktion. Im Fokus stehen Interaktionsmethoden und -geräte im Umfeld des industriellen Schweißens. Der Schweißprozess ist ein hochpräziser Vorgang, bei dem die Brennerführung sehr exakt und meist unter Verwendung beider Hände erfolgen muss. Entsteht während des Prozesses die Notwendigkeit einer Parameteränderung, ist dies häufig nur mittels einer Unterbrechung des Vorgangs möglich, weil jede zusätzliche Bewegung der Hände eine Ungenauigkeit und somit potenziell einen Qualitätsverlust an der Schweißnaht hervorrufen kann. Im Projekt wird daher an alternativen Interaktionsmethoden geforscht, die den Anforderungen in der Domäne des industriellen Schweißens entsprechen und die nicht vorrangig auf die Verwendung der Hände zurückgreifen. Durch vollständige Beanspruchung der oberen Extremitäten während des Schweißvorgangs lassen sich hinsichtlich Herausforderungen und Einschränkungen Parallelen zu Menschen mit Tetraplegie bzw. Tetraparese ziehen. Im Bereich assistierender Technologien für Menschen mit Beeinträchtigung wird seit vielen Jahren an alternativen Interaktionsmethoden wie z. B. Sprach-, Augen- oder Mundsteuerung geforscht. Diese Erkenntnisse sollen in die Domäne des industriellen Schweißens übertragen werden. Umgekehrt sollen neue Erkenntnisse aus dem Projekt Welding Interaction in Future Industry in die Domäne assistierender Technologien einfließen, wodurch von bislang ungenutzten Synergien profitiert werden kann. „Wir erhoffen uns, dass wir Wissen aus dem Bereich assistierender Technologien in die Industrie transferieren können – und umgekehrt auch Interaktionslösungen für Menschen mit Beeinträchtigung damit auf lange Sicht günstiger werden, da höhere Stückzahlen dieser Lösungen wahrscheinlich günstigere Anschaffungskosten mit sich bringen.“